Interview mit Islamexpertin Lamya Kaddor "Eine völlige Enthemmung"

Bonn · Die Seiten ihres neuen Buches hatte man geschreddert und ihr geschickt, mit einem gelben Klebezettel: „Pfui, Du Drecksstück.“ Alltag für die Lehrerin und Autorin Lamya Kaddor. Weil die Morddrohungen immer werden, hat sie sich nun aus Sicherheitsgründen vom Schuldienst beurlauben lassen. Jasmin Fischer sprach mit ihr.

Lamya Kaddor (38) ist Pionierin der Islamischen Religionspädagogik.

Lamya Kaddor (38) ist Pionierin der Islamischen Religionspädagogik.

Foto: dpa

Was ist der Stand der Dinge?
Lamya Kaddor: Der ändert sich eigentlich alle zwei Stunden. Mittlerweile gibt es Schutzmaßnahmen für mich. Ich erhalte seit gestern aber auch Hunderte positive Zuschriften aus dem In- und Ausland. Das zeigt, dass es sich zu kämpfen lohnt.

Sie bekommen seit Jahren Hasspost, weil Sie die Deutschen auffordern, Muslime, die seit Generationen hier leben oder geboren worden sind, auf Augenhöhe zu behandeln. Was war dieses Mal anders?
Kaddor: Die Hasspost hat seit Veröffentlichung meines neuen Buches vor Kurzem extrem zugenommen. Eine Drohmail war auf 54 Einzelnachrichten verteilt, die mir nachts im Minutentakt zugesandt wurde. Darin wurde beschrieben, was man mir antun würde. Die Schule, in der ich arbeite, ist bekannt, sodass ich fürchten musste, Schüler, Kollegen könnten in die Sache hineingezogen werden. Der Absender wohnt in meiner Nähe. Ich musste die Reißleine ziehen.

Was steht in solchen Drohmails?
Kaddor: Dinge wie: „Dummes Vieh“, „stirb, Kanacken-Fotze“, „Ballert ihr ne Kugel in den Kopf“, „Nachts kommen wir dich holen.“ Da findet eine völlige Enthemmung quer durch alle Bevölkerungsschichten statt. Es gibt bekannte Publizisten wie Henryk M. Broder, Roland Tichy, aber auch andere, die im Netz über mich Unwahrheiten und Beleidigungen verbreiten oder verbreiten lassen, Links zu ihren Texten werden Hassmails an mich hämisch beigefügt.

Herr Broder hat sich dazu schon geäußert und gesagt, Sie hätten „einen an der Klatsche“.
Kaddor: Sagt das nicht viel über ihn aus? Ich bin nicht die erste, die er versucht, fertig zu machen. Ich gebe ihm Mitschuld daran, dass ich meinen Schuldienst gerade nicht mehr machen kann.

Sie treten für einen liberalen, modernen Islam in Deutschland ein, was die Kritiker von Parallelgesellschaften und Burkaträgerinnen doch freuen müsste. Wie erklären Sie sich die Hasswelle?
Kaddor: Gute Frage. Da sollten alle mal drüber nachdenken. Die Trennlinie in dieser fast schon wahnhaft geführten Debatte verläuft nicht zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen. Sie verläuft zwischen zwischen all denen, die eine offene, plurale Gesellschaft wollen und jenen, die es nicht wollen. Das ist der eigentliche Rassismus unserer Tage.

Was würde Ihnen in dieser Situation helfen?
Kaddor: Es soll ja gar nicht um mich persönlich gehen! Ich bin Botschafterin eines Anliegens, so wie viele andere Menschen auch. Wenn meine Situation etwas bewirkt, dann hoffentlich, dass die Erkenntnis reift, dass wir ein echtes Problem mit dem Völkischen haben und lernen müssen, über Einwanderung sachlich zu streiten. Es braucht aber auch schärfere, juristische Konsequenzen für Anfeindungen im Internet.

Werden Sie weiter öffentlich auftreten?
Kaddor: Ja, Ich will weiter mein Buch vorstellen und bin Sonntagabend bei Anne Will eingeladen.

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