BAMF organisiert sich neu Ein Bundesamt an der Belastungsgrenze

Berlin · Jetzt stellt der Behördenchef Entscheidungen binnen 48 Stunden in Aussicht und will bis zu 1,2 Millionen Anträgein einem Jahr abarbeiten lassen. Den Flüchtlingszuzug nach Deutschland aber kann nur die Politik stoppen

Ein zentrales Projekt des BAMF: Der bundeseinheitliche Flüchtlingsausweis.

Ein zentrales Projekt des BAMF: Der bundeseinheitliche Flüchtlingsausweis.

Foto: dpa

In diesem Job ist in Zeiten wie diesen jede Zahl eine Nachricht. Was immer Frank-Jürgen Weise, seit September vergangenen Jahres neuer Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Sitz in Nürnberg, an Bewegungen in der Flüchtlings- und Asylstatistik verkündet, taugt zur Schlagzeile.

Vor vier Wochen erst hat Weise, der in seinem Hauptamt als Präsident der Bundesagentur für Arbeit (BA) vorsteht, als Gast der CSU-Klausur in Wildbad Kreuth eine Zahl genannt, die diese Kriterien erfüllt hat: Insgesamt 660.000 Asylfälle, verkündete Weise in kalter Bergluft, lägen beim BAMF aktuell als „nicht entschieden“ auf Halde, davon 360.000 bereits gestellte Anträge sowie zusätzlich geschätzte 300.000 Asyl-Kandidaten, die irgendwo im Bundesgebiet unregistriert und bis dato noch ohne Antrag vagabundierten.

Weise habe in den Tagen von Kreuth, als CDU-Chefin Angela Merkel wieder und wieder mit Forderungen der CSU nach einer „Obergrenze“ für Flüchtlinge konfrontiert worden war, mit jenen 660.000 unbearbeiteten Asylfällen bewusst nur eine „Untergrenze“ genannt. Warum? „Um aus Wildbad Kreuth wieder heil rauszukommen, habe ich die untere Grenze genommen“, räumt der 64 Jahre alte Wirtschaftswissenschaftler gut 30 Tage später ein.

Weise ist mit der BAMF-Spitze in Berlin zu einem Rück- und Ausblick angetreten. Weise und Kollegen präsentierten Zahlen über Zahlen. Zur besseren Übersicht so viel: Tatsächlich müsse aktuell in Deutschland mit bis zu 770 000 Asyl-Altfällen gerechnet werden, die noch nicht entschieden sind. Zu diesen nicht bearbeiteten Fällen kämen die Anträge all jener Asylbewerber und Flüchtlinge dazu, die jeden Monat neu nach Deutschland kommen. Allein im Januar waren es 92 000. Wenn es so weiter ginge, würde die Zahl der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge auch 2016 die Million-Grenze erneut deutlich überschreiten.

Dazu muss man wissen: Ein für einen solchen Flüchtlingsansturm unterbesetztes BAMF schaffte es in 2015 gerade, über 280.000 Asylanträge zu befinden, wobei die Entscheider noch im Januar vergangenen Jahres täglich 600 Fälle beurteilten und im Dezember bereits täglich 2.000 Fälle, also mehr als das Dreifache, abschlossen.

Weise ist für dieses Jahr zunächst guten Mutes. Etwa 1,2 Millionen Fälle können die von einst 2350 auf bald 7300 Beschäftigte massiv aufgestockte Nürnberger Bundesbehörde in einem Jahr abarbeiten: 770.000 Altfälle plus noch etwa 500.000 Neuankömmlinge. Kämen wesentlich mehr, ginge die Wartezeit wieder bis ins Jahr 2017.

Doch wie sensibel die Zahlen gehandhabt werden, zeigt Weise am eigenen Beispiel. Er habe diese Zahl von 1,2 Millionen Asylfällen, die das BAMF in einem Jahr bearbeiten könne, bislang bewusst nicht genannt, „damit sie nicht verwechselt werden mit einer Prognose für Flüchtlinge“. Weise witterte schon die Schlagzeile: „BAMF-Chef sagt 1,2 Millionen neue Flüchtlinge voraus“. Aber wer weiß, vielleicht kommt es ohnehin so. Doch vorher wollen sie im Nürnberger Bundesamt alles tun, die Verfahren zu beschleunigen und Asylbewerber sofort nach der Ankunft in Deutschland in einem zentralen Meldesystem zu registrieren und erkennungsdienstlich zu erfassen. Mit der Ankunft bekommen Schutzsuchende künftig ihren Flüchtlingsausweis. Wer dann ohne eine solche Ankunftskarte in Eigenregie von Aschaffenburg nach Lippstadt weiterzieht, kann schon aufgrund des zentral erfassten Fingerabdrucks ermittelt werden und erhält am Ort seiner Wahl keine Leistungen.

Auch sollen Asylverfahren massiv beschleunigt werden. Weise stellt in Aussicht, dass binnen 48 Stunden eine Entscheidung fällt, wenn der Antragsteller alle benötigten Dokumente bei sich hat. „Es ist schlimm und nicht akzeptabel, wenn Menschen so lange warten müssen“, sagt der BAMF-Chef. Ziel soll es sein, künftig in maximal fünf Monaten über Altfälle und in maximal drei Monaten über Neufälle entschieden zu haben.

In 20 sogenannten „Ankunftszentren“ – mindestens eines in jedem Bundesland – sollen demnächst die Verfahren eingeleitet und in möglichst der Hälfte der Fälle direkt entschieden werden – binnen 48 Stunden. Wer ohne offizielle Dokumente einreist und beispielsweise vorgibt, Syrer aus Aleppo zu sein, dem zeigen Entscheider Luftbildaufnahmen der Stadt, und der Antragsteller werde dann ja ohne Mühe auf den Marktplatz zeigen können – oder er ist wahrscheinlich nicht aus Aleppo.

Dass aus den Ländern Kritik an der Arbeit des BAMF einprasselt, kann Weise nicht verstehen. „Es ist unprofessionell, wie ich Empfehlungen von manchem Innenminister kriege.“ Unter anderem hatte der NRW–Innenminister Ralf Jäger (SPD) moniert: „Damit Integration erfolgreich sein kann, muss das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schneller und besser werden.“ Dazu gehörten auch schnellere Asylverfahren. Auch aus Sachsen und Rheinland-Pfalz kam Kritik am zu geringen Tempo der Verfahren. Weise stellt sich vor seine Mitarbeiter, die Sonderschichten fahren, und betont: „Wir sind in Höchstlast und müssen trotzdem sehr viele Grundlagen verändern.“

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