Der Held, der keiner sein wollte Ehemaliger GSG-9-Chef Ulrich Wegener gestorben

Bonn · Ulrich Wegener gründete die legendäre Antiterroreinheit GSG 9 und widmete sein Leben dem Kampf gegen den Terrorismus. Mit der Befreiung der entführten Lufthansa-Maschine „Landshut“ 1977 wurde er zur Legende. Jetzt ist er mit 88 Jahren gestorben.

Mit der Antiterroreinheit GSG 9 blieb ihr Gründer Ulrich Wegener zeitlebens verbunden. Auch als 88-Jähriger schaute der „Held von Mogadischu“, der mit der Befreiung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ 1977 berühmt geworden war, noch alle zwei Wochen am Sitz in Sankt Augustin vorbei und tauschte sich mit dem aktuellen Kommandeur Jérôme Fuchs aus. Und Mitglieder der Einheit besuchten ihn an seinem Wohnort Windhagen im Westerwald. Wie jetzt bekannt wurde, ist Ulrich Wegener am 28. Dezember gestorben.

Wegener stammte aus einer Familie, die ganz in der Militärtradition Preußens verhaftet war, wie er im vergangenen Jahr in seiner Autobiografie „Ulrich Wegener. GSG 9 – Stärker als der Terror“ (herausgegeben von Ulrike Zander und Harald Biermann) berichtete. Geboren wurde der Offizierssohn auf dem Schießplatz Jüterbog in Brandenburg. Als 15-Jähriger erlebte er im Zweiten Weltkrieg noch die „Endkämpfe im Berliner Raum an der Ostfront“ und geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Später machte er Abitur und arbeitete zunächst bei der Landwirtschaftlichen Genossenschaft in Potsdam – sein eigentlicher Berufswunsch Soldat kam für ihn in der DDR nicht mehr infrage. Er verteilte Flugblätter gegen die Regierung und wurde mit 18 Monaten Zuchthaus bestraft. „Ich hatte Glück“, schreibt er. „Obwohl ich fast verhungerte und schwer erkrankte, überlebte ich.“

Nach seiner Entlassung 1952 flüchtete er mit der S-Bahn nach West-Berlin und konnte nun endlich eine Laufbahn einschlagen, die seinen Vorstellungen entsprach: Er ging zunächst zur Bereitschaftspolizei nach Biberach, später zum Bundesgrenzschutz. In seine Zeit als Verbindungsoffizier im Büro von Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) fiel das Ereignis, das sein Leben entscheidend verändern sollte: das Attentat bei den Olympischen Spielen im September 1972 in München. Palästinensische Terroristen nahmen israelische Sportler als Geiseln, die Befreiung scheiterte, 17 Menschen starben. „Das war für mich das traumatischste Ereignis meiner Laufbahn. Ich musste neben Genscher vom Tower aus zusehen, wie die israelischen Olympiateilnehmer ermordet wurden – und konnte nichts tun. In dem Augenblick schwor ich mir, dass so etwas nicht noch einmal passieren würde“, schrieb er in seiner Autobiografie über den Befreiungsversuch in Fürstenfeldbruck.

München wurde zum Wendepunkt seiner Laufbahn. „Wir brauchen eine Art Antiterror-Spezialeinheit, die in Zukunft mit solchen Situationen fertig wird“, forderte Wegener von Genscher. Der stimmte zu und betraute ihn mit deren Aufbau – die GSG 9 entstand, am Standort Sankt Augustin, wegen der Nähe zur Bundesregierung in Bonn. Großes Wissen für seine neue Aufgabe erwarb sich Wegener trotz der damals angespannten bilateralen Beziehungen in Israel, und er bildete sich in den USA und in Großbritannien fort.

„Beim Aufbau der GSG 9 stand für mich immer im Vordergrund, dass es nicht noch einmal ein München 1972 geben dürfe. Das war der Hauptgedanke. Der zweite Gedanke war, dass wir mit jeder Form von Terrorismus fertig werden müssten“, sagte Wegener, der für die neue Einheit zwei Grundsätze festlegte: Sie sollte unkonventionell agieren und im Einsatz sollte es eine „Führung von vorne“ geben. Das bedeutet: In erster Linie ist der Kommandeur verantwortlich. Aber im Notfall mussten auch die Verantwortlichen in der mittleren Ebene den „Einsatz der Kräfte andern“, um auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren. „Dieses System, das wir damals festlegten, ist heute noch Vorbild in der ganzen Welt“, betonte er.

Das Leben des Ulrich Wegener
16 Bilder

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Als es im Oktober 1977, auf dem Höhepunkt des „Deutschen Herbstes“, zur Entführung der „Landshut“ durch palästinensische Terroristen kam, die inhaftierte Mitglieder der Rote Armee Fraktion (RAF) freipressen wollten, hatte die GSG 9 unzählige Übungseinheiten an Flugzeugen hinter sich – auch der „Landshut“ selbst. Als der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt ihn vor der Befreiungsaktion auf dem Flughafen der somalischen Hauptstadt nach der Lage fragte, antwortete Wegener selbstbewusst: „Wir haben so etwas schon sehr häufig gemacht, Herr Bundeskanzler – das läuft.“

Auf seine Jungs könne er sich verlassen. Wegener trug nicht einmal eine Schutzweste, als er am frühen Morgen des 18. Oktober mit einem Handzeichen die „Operation Feuerzauber“ startete und mit seinen Männern die entführte Maschine stürmte. Sieben Minuten später waren alle 86 Geiseln unverletzt gerettet. „Leben zu retten – das stand immer im Vordergrund unserer Arbeit. Das hatten wir nun geschafft“, betonte Wegener. Ein GSG-9-Mann und eine Stewardess wurden bei der Aktion nur leicht verletzt. Drei Terroristen starben.

Seine Einheit wurde mit der Aktion weltberühmt, er selbst erlangte Legendenstatus und wurde zum „Helden von Mogadischu“ – auch wenn er den Begriff des Helden selbst nicht mag. „Die GSG 9 lebt eher nach dem Begriff des Vorbildes als dem des Heldentums“, betonte er, und sprach von Wertvorstellungen wie Führung, Bescheidenheit, Kameradschaft und Pflichterfüllung, die ihn geprägt hätten. Die Befreiungsaktion in „Mogadischu“ wurde auch verfilmt – mit Herbert Knaup in der Rolle des Ulrich Wegener.

Wegener kommandierte die GSG 9 bis 1979

Sein beruflicher Erfolg bedingte für Wegener jedoch auch eine Kehrseite: „Die Operation Feuerzauber war von dienstlicher Seite aus gesehen ein Höhepunkt, privat hatte es auch seine Nachteile. Meine Familie litt sehr darunter, dass ich nie zu Hause war“, sagte er. Auch sonst war das Leben für seine Frau Regina und die beiden Töchter Simone und Susanne mit Belastungen verbunden. Einmal wurde vor der Haustür der Familie eine Tasche mit Sprengstoff deponierte. Wegeners zogen daraufhin von Troisdorf nach Windhagen um, jedes Familienmitglied bekam Personenschutz.

Wegener kommandierte die GSG 9 bis 1979. Später wurde er Befehlshaber des Grenzschutzkommandos West, stieg zum Generalmajor auf und baute eine Spezialeinheit in Saudi-Arabien auf. Nach seiner Pensionierung reiste er ab 1990 als Experte für Terrorismusbekämpfung und internationaler Sicherheitsberater um die Welt. Der internationale Austausch war ihm schon bei der GSG 9 wichtig. In diesem Punkt habe sich Wegener als Visionär erwiesen, lobten ihn GSG 9-Kommandant Fuchs und dessen Vorgänger Olaf Lindner erst vergangenen Sommer bei der Vorstellung seiner Autobiografie in Bonn.

Das Aufgabenspektrum der GSG 9 sei heute noch breiter als zu seiner Zeit, so Wegener. Neben die Bekämpfung des internationalen Terrorismus sei die Unterstützung der Polizei in besonders schweren Fällen der Gewaltkriminalität getreten. „Ich schätze, da wird noch einiges auf die GSG 9 zukommen“, schrieb er 2017. Zugleich betonte er, dass der Ruf der Einheit ausgezeichnet sei, „sodass diese Spezialeinheit manchmal sogar etwas mystifiziert wird“. Wegener selbst hat entscheidend dazu beigetragen.

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