Alterssicherung in Deutschland Drei Renten-Säulen, die nicht tragen

Bonn · Seit der großen Rentenreform 2002 setzt die Regierung auf die ergänzende kapitalgedeckte Vorsorge für den Ruhestand. So richtig funktioniert das aber nicht, weil zu wenige Arbeitnehmer über die gesetzliche Rente hinaus sparen.

 Alleinerziehende Mütter zahlen oft geringe Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Umso wichtiger wäre es, zusätzlich fürs Alter zu sparen, meint die Regierung.

Alleinerziehende Mütter zahlen oft geringe Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Umso wichtiger wäre es, zusätzlich fürs Alter zu sparen, meint die Regierung.

Foto: picture alliance / dpa

Deutschland altert dramatisch: In drei Jahrzehnten, so die jüngste Prognose der Bundesregierung, kommen auf 55 Rentner pro hundert Bundesbürger 45 Menschen im Alter zwischen 20 und 64 Jahren. Heute finanzieren theoretisch noch 65 Bürger mit ihren Löhnen die Rente von 35 Ruheständlern. Die Politik hat die Konsequenzen gezogen: Schrittweise sinkt das Niveau der gesetzlichen Rente im Verhältnis zu den Löhnen, bis 2030 von heute 48 auf 44 Prozent des Durchschnittslohns. Die Idee ist, die Belastungen aus der Überalterung auf alle Generationen zu verteilen. Die Jungen zahlen weniger Rentenbeiträge, und die Alten bekommen etwas weniger Rente. Aber geht die Rechnung auf?

Das Zauberwort heißt „Drei-Säulen-Modell“. Auch im Reformpapier von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, das sie vergangene Woche vorlegte, tauchte das Bekenntnis dazu auf. Wer seinen Lebensstandard im Alter halten will, muss neben seinen Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung in eine betriebliche und/oder private Altersvorsorge investieren. Der Staat unterstützt dies mit Steuererleichterungen und Zulagen. Das Problem ist, dass noch zu wenige Beschäftigte in eine kapitalgedeckte Anlage einzahlen. Die Finanzkrise und die aktuelle Niedrigzinsphase machen das Sparen wenig attraktiv.

Also Abkehr von der Kapitalanlage? Jochen Pimpertz vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sagt: „Ich habe keine tröstenden Worte für die heutige Generation. Es gibt keine Alternative zur privaten Altersvorsorge. Je weniger Zinsen, desto mehr muss gespart werden.“ Tatsächlich sind die Zahlen ernüchternd: 14 Jahre nach dem Start der kapitalgedeckten Riester-Rente gibt es 16,5 Millionen Riester-Verträge. Wie aus dem Alterssicherungsbericht 2016 hervorgeht, werden immer weniger Neuverträge abgeschlossen. Nur 10,9 Millionen Menschen erhielten 2013 eine staatliche Riester-Förderung, was bedeutet, dass Millionen Verträge – schätzungsweise 20 Prozent – ruhen. Bei Befragungen gaben knapp 34 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an, dass sie einen Riester-Vertrag haben.

Bei der betrieblichen Altersvorsorge sieht es etwas besser aus: Laut Alterssicherungsbericht verfügen 57 Prozent über eine betriebliche Zusatzversicherung, rund 20 Prozent hatten beides – eine betriebliche Absicherung sowie Riester-Rente. Unter dem Strich verfügten damit 70 Prozent über eine geförderte kapitalgedeckte Altersvorsorge, ergänzend zur gesetzlichen Rentenversicherung. Im Umkehrschluss heißt das: 30 Prozent nehmen keine staatliche Förderung in Anspruch, um zusätzlich für das Alter zu sparen. Bei Geringverdienern, die weniger als 1500 Euro brutto monatlich verdienen, sind es sogar 47 Prozent.

Untersuchungen zeigen zudem, dass selbst die, die vorsorgen, nicht die vier Prozent des Bruttolohns ausschöpfen, bis zu denen die staatliche Förderung greift. 2011 etwa nahmen nur knapp 57 Prozent der Empfänger einer Riester-Zulage diese voll in Anspruch.

So vermutet das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, dass Geringverdiener schlicht das Geld fehle, um Vorsorge zu treffen. Der Begriff „Drei-Säulen-Modell“ sei „irreführend“, folgert das WSI. „Die Alterssicherung findet letztlich im Ein-bis-Drei-Säulen-Modell statt.“

Rechentrick der Bundesregierung

Die Bundesregierung bemüht sich, ihr „Drei-Säulen-Modell“ dennoch gut dastehen zu lassen. Im jüngsten Alterssicherungsbericht, den das Kabinett an diesem Mittwoch beraten soll, legt sie dar, wie bis weit ins Jahr 2030 ein „Netto-Gesamtversorgungsniveau“ von 70 Prozent und mehr erreicht werden könnte.

Das schafft sie mit einem Rechentrick, indem sie das Sicherungsniveau nach Steuern prognostizieren lässt. Das fällt auch deshalb günstig aus, weil Arbeitnehmer in der aktiven Phase höhere Steuersätze zahlen als später als Rentner. Das „Gesamtversorgungsniveau“ ist die Summe aus gesetzlicher Rente, Riester-Rente und einer dritten Art der Privatrente. Den nötigen finanziellen Spielraum gewinnt der Versicherte, weil der Finanzminister bis 2025 die Rentenbeiträge steuerfrei stellt. Wenn dieses Geld in eine weitere kapitalgedeckte Anlage investiert würde, so die Regierung, käme im Alter unter dem Strich ein auskömmliches Ruhegeld zustande. Der Durchschnittsverdiener, der 2030 in Rente geht, könnte sich über ein „Netto-Gesamtversorgungsniveau“ von 72,7 Prozent freuen, während etwa die Alleinerziehende mit unterbrochener Erwerbstätigkeit bei 71 Prozent läge. Sie könnte etwa von anrechenbaren Kindererziehungszeiten und Kinderzulage in der Riester-Rente profitieren.

Alles in Ordnung? Wohl kaum. Die meisten Versicherten sparen eben nicht vier Prozent des Bruttolohns. Möglicherweise auch, weil „der Kenntnisstand in der Bevölkerung im Bereich der zusätzlichen Altersvorsorge insgesamt gering ist“, wie der Alterssicherungsbericht herausgefunden hat. Zu kompliziert sind ganz offenbar die zahlreichen Förderwege. „Das ist schlimm“, sagt IW-Mann Pimpertz. „Wir brauchen eine möglichst einheitliche Förderkulisse.“ Für die Koalition höchste Zeit, sich an die Reparaturarbeit zu machen.

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