Kölner Staatsrechtler Wolfram Höfling Die wichtigsten Fragen zum Jamaika-Aus im Interview

BONN · Dass die Regierungsbildung diesmal länger dauert, sieht der Kölner Staatsrechtler Wolfram Höfling nicht als problematisch an. Mit ihm sprach Daniela Greulich.

Herr Höfling, die Jamaika-Verhandlungen sind gescheitert, die SPD lehnt eine große Koalition ab. Die Regierungsbildung ist knapp zwei Monate nach den Wahlen in weite Ferne gerückt. Sehen Sie schon Anzeichen für eine Verfassungskrise?

Wolfram Höfling: Nein, auf keinen Fall. Bisher hat die Regierungsbildung immer reibungslos geklappt, insofern sind die Menschen ein wenig verwöhnt. Aber dass es länger dauert und in einem ersten Anlauf vielleicht nicht so klappt, wie viele Beteiligte sich das vorgestellt haben, ist noch lange keine Verfassungskrise. Aus der Perspektive des Grundgesetzes geht es vor allem darum, stabile Mehrheitsverhältnisse als Grundlage für eine starke Bundesregierung zu schaffen.

Wie geht es denn jetzt weiter?

Höfling: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier muss nun in einer angemessenen Frist dem Parlament einen Vorschlag für die Kanzlerwahl unterbreiten. So steht es in Artikel 63 des Grundgesetzes. Wann er zu einer Einschätzung gelangt, was überhaupt möglich ist, hängt sicherlich von den Gesprächen ab, die er zum Beispiel mit der geschäftsführenden Bundeskanzlerin Angela Merkel führt. Er muss sich also überlegen, wer von den handelnden Akteuren die größte Chance hat, eine Zustimmung der Mehrheit des Bundestages zu erreichen.

... und wenn er den Eindruck gewinnt, dass keiner eine Mehrheit hinter sich vereinen kann?

Höfling: Auch dann bleibt ihm nichts anderes übrig, als dem Bundestag einen Vorschlag zu unterbreiten.

Es wird also auf jeden Fall eine Kanzlerwahl geben. Was halten Sie hier für die die wahrscheinlichste Option?

Höfling: Nehmen wir einfach einmal folgendes Beispiel: CDU-Chefin Angela Merkel, und zu ihr sehe ich im Moment keine Alternative, entscheidet sich für eine Koalition mit den Grünen oder der FDP. Der Bundespräsident schlägt dann dem Bundestag Frau Merkel als Kanzlerin vor. Dann wählt das Parlament. Keiner weiß, ob es nicht trotzdem Zustimmung für Angela Merkel aus den Reihen der anderen Parteien gibt. Nach der Wahl gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Kandidatin erreicht die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, die sogenannte Kanzlermehrheit. Dann kann sie gegebenenfalls mit wechselnden Mehrheiten regieren. Falls das langfristig nicht klappen sollte, könnte sie dann die Vertrauensfrage stellen, oder es gäbe die Möglichkeit eines Misstrauensvotums.

Zurzeit könnte sie die Vertrauensfrage nicht stellen?

Höfling: Nein, denn als geschäftsführende Bundeskanzlerin ist sie nicht aufgrund des Vertrauens des Parlaments, sondern aufgrund des Ersuchens des Bundespräsidenten im Amt.

Und falls sie bei der Kanzlerwahl keine Mehrheit erhält?

Höfling: Dann wird es etwas komplizierter. Wenn sie die absolute Mehrheit verfehlt, hat der Bundestag zunächst 14 Tage lang Zeit, auch noch andere Kandidaten zur Wahl zu stellen. Falls einer der Kandidaten dann die absolute Mehrheit auf sich vereint, muss der Bundespräsident diesen zur Kanzlerin oder zum Kanzler ernennen. Kommt innerhalb dieser Frist eine Wahl mit Kanzlermehrheit nicht zustande, so findet umgehend ein neuer Wahlgang statt. Falls Angela Merkel oder ein anderer Kandidat dann nur die einfache Mehrheit erhalten, liegt es im politischen Ermessen des Bundespräsidenten, ob er sagt, wir probieren es mit einer Minderheitskanzlerin oder ich löse den Bundestag auf.

Am Wochenende hatte Frank-Walter Steinmeier die Jamaika-Koalitionäre noch aufgefordert, die Verhandlungen zu einem guten Abschluss zu bringen. Spricht das gegen Neuwahlen?

Höfling: Mich hat es irritiert, dass der Bundespräsident sozusagen schon einmal prophylaktisch interveniert hat. Das finde ich ungewöhnlich. Er muss abwarten, wie sich die Sondierungen darstellen. Das klang wie ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass sich keiner darauf verlassen sollte, dass es im Falle des Scheiterns zu Neuwahlen kommen sollte. Man wird sehen müssen, wie sich in den nächsten Wochen die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag bei Abstimmungen tatsächlich präsentieren.

Was halten Sie für die wahrscheinlichste Variante?

Höfling: Ich denke, der Bundespräsident wird Angela Merkel als Kanzlerin vorschlagen, und ich könnte mir sogar vorstellen, dass es ihr gelingt, eine Kanzlermehrheit hinter sich zu vereinen. Viele rechnen aber nur mit einer einfachen Mehrheit. Da kann man sich durchaus vorstellen, dass der Bundespräsident, so wie er sich jetzt geäußert hat, den Bundestag nicht auflöst.

Dann wäre sie eine Kanzlerin ohne Mehrheit...

Höfling: ... aber mit allen verfassungsmäßigen Rechten. Sie schlägt Minister vor und man wird sehen, ob diese Regierung mit diesem Bundestag eine Politik betreiben kann, die auf Dauer oder zumindest mittelfristig funktioniert. Wenn nicht, wird es zu einem Misstrauensvotum kommen oder sie wird die Vertrauensfrage stellen. Aber auch da müsste der Bundespräsident wieder mitspielen.

Sehen Sie die Stabilität des Landes gefährdet?

Höfling: In 70 Jahren Bundesrepublik gab es eigentlich immer kluge Wahlentscheidungen und an Zäsurpunkten die richtigen Koalitionen. Das galt für die erste sozialliberale Koalition und für die erste Koalition der SPD mit den Grünen. Auch hier hätte ich mir vorstellen können, dass eine Jamaika-Koalition Innovationspotenzial freigesetzt hätte. Das ist gescheitert. Damit werden wir zurechtkommen. Bei allen misslichen Diskussion, die wir etwa um die AfD führen: Ich sehe die Stabilität der Bundesrepublik nicht in Gefahr.

Wann werden wir eine stabile Regierung haben?

Höfling: Das vermag ich nicht abzuschätzen. Aber ich denke nicht, dass wir eine volle Legislaturperiode ohne Neuwahlen erleben werden.

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