Kommentar zum Familiennachzug Die große Koalition ist klein geworden

Meinung | Berlin · Es scheint unklar, ob es wirklich etwas wird mit dem schwarz-roten Bündnis. Wie bezeichnend die Diskussionen um den Streitpunkt Familiennachzug ist und dass dabei ein Murks herausgekommen ist, kommentiert GA-Korrespondent Gregor Mayntz.

Schon die Abstimmungszahlen zum Familiennachzug sind bemerkenswert: Da setzen sich 376 Abgeordnete von Union und SPD gegen 298 Neinstimmen durch – das zeigt wie klein eine neue „große“ Koalition im Bundestag geworden ist. Ob es wirklich etwas mit dem schwarz-roten Bündnis wird, steht noch in den Sternen. Dass es am verhältnismäßig kleindimensionierten Streitpunkt Familiennachzug schon beinahe gescheitert wäre, zeigt das Ausmaß der (Un-)Lust der potenziellen Koalitionspartner darauf, zusammen weitere Jahre die Politik zu gestalten. Herausgekommen ist denn auch ein ziemlicher Murks.

Da waren die Sozialdemokraten, die ein humanitäres Zeichen setzen wollte. Und da war die CSU, die nichts lieber hat als eine funktionierende „Obergrenze“. Und so fügte Bundeskanzlerin Angela Merkel das Ansinnen der beiden kleineren Parteien zu einem Kompromiss zusammen. Erst mal den Nachzugstopp für subsidiär Geschützte aufrecht erhalten und dann ab August monatlich bis zu tausend nachziehen lassen – ein Humanitätskontingent. Das aber ist Rechtsprechung und Verwaltungspraxis in Deutschland fremd. Und so droht denn ein Bürokratiemonster daraus zu werden.

Da ist die Frage, ob der Visastellenmitarbeiter in Beirut oder in Erbil, der in Izmir oder der in Gaziantep den tausendsten Stempel unter das Familiennachzugsvisa des Monats August setzen darf. Da ist die Frage, ob die Familie mit vier Kindern auf Platz 999 und 1000 im Monat September die beiden jüngeren Kinder nach Deutschland bekommt, im Oktober dann die beiden älteren?

Wenn von den 70.000 Terminnachfragen bei deutschen Auslandsvertretungen auch nur die Hälfte für einen Familiennachzug in Frage kommt, dann haben wir es von August an mit einer Warteliste mit 34.000 Namen zu tun, zu der viele ungeduldige Eltern, Männer, Frauen und Kinder Woche für Woche nachfragen werden, wann sie denn an der Reihe sind.

Vermutlich werden sich bald auch Anwälte genau angucken, ob dem Grundsatz der Gleichbehandlung Rechnung getragen wurde, und nicht etwa der etwas harmlosere humanitäre Fall dem deutlich schwerwiegenderem vorgezogen wurde. Möglicherweise wird sich auch der Petitionsausschuss weitere Lagerräume zulegen müssen, in denen alle die Eingaben aufgereiht werden, in denen darum gebeten wird, die Reihenfolge auf der Warteliste zu verringern.

Zu allem Überfluss ist es eine Übung am falschen Objekt. Entweder handelt es sich um subsidiären Schutz, weil der Flüchtling aus einer Region kommt, die schon bald wieder als befriedet angesehen werden kann: Dann kommt er für den Familiennachzug nur schwerlich in Frage. Oder aber die Restfamilie ist akut in Lebensgefahr: Dann zieht für sie ohnehin die Genfer Flüchtlingskonvention.

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