Bundestagswahlkampf 2017 Die Polit-Ehe von Angela Merkel und Horst Seehofer

Es geht doch. Es muss gehen. Noch 83 Tage bis zur Bundestagswahl. Der Erfolgsdruck wächst. Am Ende muss das Ergebnis stimmen.

Angela Merkel und Horst Seehofer haben an diesem Montag – man glaubt es kaum – wieder „blindes Vertrauen“ zueinander. Man muss diese Vokabel nach allem, was sich zwischen Merkel und Seehofer in Folge des Flüchtlingszuzuges nach Deutschland seit dem Spätsommer 2015 aufgestaut hat, beinahe schon buchstabieren: blindes Vertrauen. Die CDU-Vorsitzende kann sogar wieder „träumen“, wie sie zu dieser Mittagsstunde im Konrad-Adenauer-Haus sagt.

Merkel gerät an der Seite des CSU-Chefs tatsächlich ins Träumen, wenn auch nur über die Möglichkeiten des eigenen Wahlprogrammes, das die beiden gerade vorstellen. Eine solche Aussage wäre vor einem Jahr nach der Klausur der Spitzen der beiden Unionsparteien auf der Insel Hermannswerder bei Potsdam undenkbar gewesen. Damals wäre die Traumgestalt Seehofer nur in einem Albtraum Merkels vorgekommen.

Der CSU-Chef hatte nach der auch als „Friedensgipfel“ eingestuften Perspektiv-Klausur neben einer völlig bedienten CDU-Vorsitzenden sogar die Unterstützung einer möglichen Kanzlerkandidatur Merkels offen gelassen. Seehofer versuchte sich an einer Fußball-Metapher. Jawohl, man wolle ins Finale, aber jetzt müsse die Unions-Mannschaft erst einmal durch die Gruppenphase, „und dann sehen wir weiter“.

Zieht die CSU mit einer Kanzlerkandidatin Merkel in den Bundestagswahlkampf 2017? Seehofer vor Jahresfrist auf Hermannswerder: „Wir befinden uns ein Jahr vor der Bundestagswahl, deshalb kann ich die Frage nicht beantworten.“ Das konnte man da als eine allenfalls sehr bedingte Vertrauensbekundung Seehofers für Merkel verstehen. An diesem glühend heißen Samstag in Potsdam war das total zerrüttete Verhältnis der beiden Parteichefs von CDU und CSU zu besichtigen, das auch kein gemeinsamer Grillabend heilen konnte. Seehofer hatte seine Haltung spätestens beim CSU-Parteitag im November 2015 in München grundlegend in Frage gestellt. Damals hatte er Merkel wie ein Schulmädchen neben sich auf der Bühne stehen lassen, während er am Rednerpult die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin sezierte.

Es gab eine Reihe von Meinungsverschiedenheiten, Dissonanzen und mehr oder minder offene Misstrauensbekundungen der CSU-Spitze um Seehofer, seit Merkel in jener Nacht vom 4. auf den 5. September 2015 mit dem damaligen österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann unbürokratisch die Grenzen für Zehntausende Flüchtlinge öffnen ließ, die in Ungarn gestrandet waren.

Dabei hatte Merkel in jener September-Nacht über viele Kanäle versucht, Seehofer zu erreichen. Erfolglos. Und es ranken sich bis heute allerlei Erzählungen, warum der Ministerpräsident eines nicht ganz unbedeutenden Bundeslandes wie Bayern über Stunden durch niemanden erreichbar gewesen sei. Nicht einmal von der Polizei, die ihn ständig bewacht.

Seehofer drohte in der Folge gar damit, gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen und kündigte vorbeugend eigene Notwehr des Freistaates an, sollte Berlin nicht Maßnahmen wie beispielsweise eine Obergrenze ergreifen, um den Flüchtlingsstrom über die Grenzen nach Bayern zu begrenzen. Der Bund gefährde die „eigenstaatliche Handlungsfähigkeit der Länder“, so die Begründung.

Aber jetzt haben Merkel und Seehofer in ihrer Polit-Ehe auf Abstand zumindest wieder auf Halbdistanz geschaltet. Nicht kuscheln, aber doch die große Krise irgendwie hinter sich lassen. Für die nächste Bundestagswahl wollen sie erkennbar die gemeinsame Chance suchen. Öffentlich soll es sich sogar nach mehr anhören. Merkel sagt, die Zusammenarbeit mit Seehofer habe „Freude gemacht“. Der CSU-Chef lobt den „echten Gemeinschaftsgeist“, der beim Ausarbeiten des gemeinsamen Wahlprogrammes von CDU und CSU „viele Tage, viele Monate“ geherrscht habe. Er schwärmt von einem „starken Band der Gemeinsamkeiten“ zwischen den Unionsparteien. Fast wirkt es so, als habe Seehofer vergessen, wie er bei dem zum Versöhnungsgipfel stilisierten Treffen mit Merkel im Februar in München abwägend seinen Kopf nach links und rechts auf die Frage bewegte: Soll Merkel im Wahlkampf in Bayern auftreten? Mal sehen...

Wie sich die Aussagen doch ändern, wenn die Interessen sich ändern. Seehofer will den Wahlsieg Merkels im September im Bund, weil davon auch die eigenen Perspektiven (und die der CSU) bei der Landtagswahl im Herbst 2018 abhängen. Seehofer hatte nach mehreren Volten in diesem Sommer erklärt, sein eigentlich für 2018 angekündigtes Karriereende als Ministerpräsident und Parteichef auf unbestimmte Zeit zu verschieben.

Seehofer braucht Merkel auch für seine eigene Wiederwahl. Erfolgsdruck kann disziplinieren. Als hätten Merkel und Seehofer nach einem Abendessen der Unionsspitzen zum Frühstück am Morgen danach noch eine Portion Kreide auftischen lassen, präsentieren sie in früher geübter Eintracht das Wahlprogramm von CDU und CSU. Die Überschrift ist gewollt unaufgeregt: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben.“

Flüchtlings-Obergrenze oder nicht? Bislang hatte Seehofer betont, er werde keinen Koalitionsvertrag in Berlin unterschreiben, in dem eine Obergrenze nicht stehe. Im gemeinsamen Wahlprogramm von CDU und CSU bleibt sie erst einmal ausgespart. Merkel sagt: trocken: „Meine Position zur Obergrenze ist bekannt.“ Betont aber zugleich: „Das Jahr 2015 soll sich in der Tat nicht wiederholen.“ Und auch Seehofer kann mit der Zahl von rund 80.000 Flüchtlingen leben, die wohl in diesem Jahr nach Deutschland kommen würden. Er will sich zunächst damit zufriedengeben, die Obergrenze in den „Bayernplan“, das Wahlprogramm der CSU, zu schreiben. Und dann?

„Dann schauen wir weiter“, lässt der CSU-Chef die bundesweite Zukunft einer Obergrenze erst einmal offen. Der Bayernplan sei auch „kein Anti-Regierungsprogramm“. Es werde dort auch „nichts in Frage gestellt, er sei aber „mit bayerischer Sprache deutlich“, womit er die Art und nicht den Dialekt meint. Das zarte Pflänzchen des neuen, wieder blinden Vertrauens wollen weder Merkel noch Seehofer zertreten. Es muss gehegt werden. Merkel und Seehofer halten dann noch zwei Exemplare des gemeinsamen Wahlprogrammes in die Höhe. Merkel versichert schnell: „Die sind jedenfalls identisch.“ Wer weiß schon, was noch kommt?

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