Kommentar zum Aus der Jamaika-Koalition Die Parteien müssen Verantwortung übernehmen

Meinung · Das Aus einer möglichen Jamaika-Koalition war am Ende keine große Überraschung mehr. Das Verhalten der FDP ist für GA-Chefredakteur Helge Matthiesen aber verantwortungslos. Ein Kommentar.

Wirklich überraschend kam das Aus für Jamaika nicht. Schon seit Tagen zeichnete sich ab, dass der linke Flügel der Grünen gerne öffentlich konterkarierte, was die Pragmatiker der Partei gerade besprachen. Schon seit Tagen reagierte die FDP verschnupft auf dieses permanente Störfeuer. Dass CDU und CSU ihre Konflikte auch nur im Interesse einer Regierungsbildung und vermutlich bis zur Landtagswahl in Bayern hintanstellten, war jederzeit klar; die Christsozialen akzeptierten nur zähneknirschend das Taktieren der Grünen. Es wuchs eben nichts zusammen, und insofern ist es nur konsequent, dass die FDP die Verhandlungen beendete. Sie wollten keine Groko ohne SPD, aber dafür mit ein wenig Krötenzaun, ließen die Unterhändler verlauten. Aha! Hatten sie vorher so schlecht verhandelt und waren dann unter die Räder gekommen?

Damit endet dann auch schon das Verständnis für die vier Parteien. In komplexen und langanhaltenden Verhandlungen scheinen sich die Beteiligten leicht mal von der Wirklichkeit zu lösen. Denn was da in der Nacht zu Montag in Berlin schiefging, betrifft ja nicht nur die beteiligten Parteien selbst. Sie tragen Verantwortung für das Land, sie tragen Verantwortung für Europa und in vielen außenpolitischen Fragen. Auf ein stabiles Deutschland kommt es gerade im Augenblick stark an.

Das Spielchen der FDP ist daher schlicht verantwortungslos und zeigt deutlich, wie sehr es der Partei nur um sich selbst geht. Christian Lindner scheint der Welt beweisen zu müssen, dass die neue FDP nicht die alte ist, die um jeden Preis regieren will. Der alten FDP war indes jederzeit klar, dass sie auch Verantwortung für das Ganze übernehmen muss, wenn sie sich wählen lässt.

Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen, hat Herbert Wehner einst trocken festgestellt. Will die FDP jetzt neben der AfD auf der rechten Seite des Plenums in der Opposition Platz nehmen? Oder will sie ein wenig Opposition machen und ein wenig regieren, falls eine Minderheitenregierung sie braucht? Die Schachzüge der Freien Demokraten sind selbstbezogen, ihre Gründe nebulös. So verspielt sie das gerade erst wiedergewonnene Vertrauen. Oder glauben die Liberalen, dass es im politischen Deutschland derzeit schick ist, sich der Verantwortung einfach zu entziehen? Die neue FDP ist eine Enttäuschung.

Die treuherzigen Beteuerungen der Grünen, man sei doch kurz davor gewesen, sich zu einigen, wirken auch nicht sehr überzeugend. Wenn in langen Nächten nicht auffällt, dass da gerade ein wesentlicher Partner von der Stange geht, dann muss man schon ganz schön blind sein. Das nachdrückliche 'Wir waren es nicht', das da jetzt zu hören ist, klingt nicht überzeugend. Nur die Kanzlerin schweigt weiter. Ihr scheint klar zu sein, dass ein Neuanfang von Verhandlungen nur ohne sie erfolgreich sein dürfte. Selbst für eine Minderheitsregierung sieht es nicht sehr gut aus. Angela Merkel hat keine Mehrheit mehr und wird vermutlich auch keine mehr bekommen.

Alle Augen richten sich jetzt auf die SPD. Sie hat sich in ihrer langen Geschichte nie gedrückt, wenn es darauf ankam – oft zu ihrem eigenen Schaden. Jetzt schlägt die Stunde all jener in der SPD, die Opposition nicht mögen. Davon gibt es in ihren Reihen eine ganze Menge. Doch auch sie teilen das Dilemma der FDP: Ein bisschen regieren und ein bisschen Opposition wird nicht gehen.

So hat Deutschland das erste Mal in seiner Nachkriegsgeschichte eine echte Regierungskrise. Alternativen sind rar, die Akteure ratlos, zu viele Dinge unklar. Neuwahlen sind nicht leicht zu haben. Das Ergebnis wäre vermutlich kaum eindeutiger als im September. Im Interesse des Landes gibt es daher nur eine Alternative: Wer gewählt ist, muss Verantwortung übernehmen, und das möglichst schnell. Bevor die Parteien wieder das Volk bemühen, sollten sie erst mal in den eigenen Reihen schauen, wie sich Politiker an den Start bringen lassen, die dazu bereit sind. Diesen Dienst sind sie den Wählern schuldig.

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