Regierungsbildung in Deutschland Die Grünen vor einer möglicher Jamaika-Koalition

BERLIN · Die Grünen stehen vor einem Dilemma: Wagen sie eine Jamaika-Koalition mit der Union und FDP, könnte dies für die Partei zur Existenzfrage werden.

 Diskussion über Jamaika: Die beiden Grünen-Fraktionschefs Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt.

Diskussion über Jamaika: Die beiden Grünen-Fraktionschefs Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt.

Foto: AFP

Ein langer Weg. Vielleicht ist der Koalitionsvertrag bis Weihnachten unter Dach und Fach. Vielleicht. Aber Zeitdruck? Nein, da wollen die Grünen nicht mitmachen, jetzt, da die Unionsparteien „mit ihrem Geplänkel“ schon zwei Wochen haben verstreichen lassen, wie Grünen-Fraktionsvize Katja Dörner sagt. „Wir werden uns zeitlich nicht unter Druck setzen lassen, nur um einen Zeitplan einzuhalten. Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit.“ Fraktionschef Anton Hofreiter zählt schon runter. Noch zehn Tage, dann treffen sich CDU, CSU, FDP und Grüne, vier „teilweise sehr unterschiedliche Parteien“, Ende nächster Woche zu ersten Sondierungsgesprächen.

Selbstredend hat Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour das „Regelwerk zur Migration“ gelesen, mit dem CDU und CSU ihren Flüchtlingsfrieden geschlossen haben. Was nun? „Endlich weiß die Union, was sie will. Jetzt können wir verhandeln.“ Und bitte: „Hey, die haben sich zum Einwanderungsgesetz bekannt. Ist das nicht unglaublich?“

Nouripour ist trotzdem nicht euphorisiert, dazu hat er in seinem Heimatland Hessen zu lange und zu hart mit der Landes-CDU über einen Koalitionsvertrag für Schwarz-Grün verhandelt. Es habe einen „massiven kulturellen Graben zwischen denen und uns gegeben, der nirgendwo so breit und so tief war wie in Hessen.“ Am Ende aber habe es für Schwarz-Grün gereicht. Warum also nicht Jamaika im Bund?

Mitglieder sollen befragt werden

Die Grünen warten, sie wollen loslegen. Sie wollen nach mehr als zwölf Jahren Opposition zurück in die Bundesregierung. Nicht um jeden Preis, aber der erklärte Wille ist da. Der absehbare Fahrplan: Erst Sondierungen, womöglich mehrere Runden, dann eventuell Einstieg in Koalitionsverhandlungen, wozu ursprünglich noch ein Parteitag befragt werden sollte. Schlussendlich sollen noch die Mitglieder zum Eintritt in eine erste Jamaika-Koalition im Bund befragt werden.

Niemand kann im Moment sagen, ob es dazu kommen wird. Fraktionsvize Dörner betont: „Wir werden als grüne Sondierungsgruppe nicht die Aufnahme von Koalitionsgesprächen empfehlen, in denen keine grüne Handschrift zu erkennen ist. Das werden wir nicht machen.“ Schon gar nicht aber ist vorhersehbar, wie die Grünen nach Ende einer Jamaika-Koalition später dastehen werden. Die steuerpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Lisa Paus, sagte unlängst am Rande des Länderrates, man müsse auch daran denken, was 2021 sein werde. Die Grünen ahnen: Sie wandeln auf einem schmalen Grat – zwischen Jamaika und Abgrund.

Streit um Begriff "Heimat"

Die Grünen haben sich aufgemacht auf einen Weg in ein Bündnis mit drei bürgerlichen Parteien. Schon streitet die Partei über den Begriff „Heimat“, der dem linken Parteiflügel zu sehr nach Nation klingt und zu wenig nach Solidarität. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagt: „Wir lieben dieses Land. Das ist unsere Heimat. Und für diese Heimat werden wir kämpfen.“ Sie wollen für vieles andere auch kämpfen: für den Familiennachzug von Flüchtlingen, für ein Integrationsministerium, für die sofortige Stilllegung der 20 schmutzigsten deutschen Kohlekraftwerke, für die Abschaffung der industriellen Massentierhaltung.

Auch dafür gehen sie Ende der kommenden Woche in das erste Sondierungsgespräch mit CDU, CSU und FDP. Nouripour erwartet, dass es eine „erste Annäherung, dass es Licht und Schatten geben wird, und dass meinen Leuten sehr klar sein wird, es wird ein sehr langer Weg, den wir aber erst einmal versuchen werden.“ Die bayerische Bundestagsabgeordnete Margarete Bause erwartet schwierige Gespräche, „weil die CSU völlig von der Rolle ist“. Außenpolitiker Nouripour jedenfalls will sich von Unkenrufen in den eigenen Reihen, wie sehr eine Jamaika-Koalition die Grünen verändern könnte, nicht beeindrucken lassen. Er gibt sich kampfeslustig: „Wir Grüne fürchten weder Tod noch Merkel.“

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