Reaktion auf die Bundestagswahl Die CDU ist vom Wähler abgestraft, aber zum Regieren bereit

Berlin · Die CDU muss bei der Bundestagswahl 2017 das zweitschlechteste Ergebnis in der Nachkriegszeit hinnehmen. Die Partei ist dennoch zum Regieren bereit.

Es ist gerade 17 Uhr, als ein Mercedes mit Kieler Kennzeichen vor der CDU-Parteizentrale vorfährt. Darin sitzt der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther. Er führt im hohen Norden ein Jamaika-Bündnis an. Er wird wohl schon ahnen, dass er an diesem Abend ein gefragter Gesprächspartner für die Kanzlerin und den Rest der Parteiführung sein wird. Schwarz-Gelb-Grün - wie geht das?

Wenn Angela Merkel im Kanzleramt bleiben will, wird sie die so unterschiedlichen Kulturen von CDU/CSU, Liberalen und Grünen zusammenführen müssen. Trotz der herben Verluste feiert sie an diesem Sonntagabend einen historischen Sieg. Sie kann nun vier weitere Jahre regieren und damit mit Helmut Kohl gleichziehen. Ein Platz in den Geschichtsbüchern ist sicher. Dass sie die 16 Jahre tatsächlich erreicht nicht unbedingt. Sie wird ein nächstes Regierungsbündnis mit einer inhaltlich ausgehöhlten, erschöpften und vom Wähler abgestraften Union anführen müssen. Dass man bis Weihnachten eine neue Regierung haben könnte, glaubt an diesem Wahlabend im Adenauerhaus niemand.

Bereits um 18.50 Uhr kommt Merkel zu ihrer Anhängerschaft und macht ihren Machtwillen deutlich: „Gegen uns kann keine Regierung gebildet werden“, ruft sie. Sie sagt auch: „Wir haben den Auftrag, Verantwortung zu übernehmen.“ Doch das wird nicht einfach. Die Flüchtlingskrise und Merkels Entscheidungen von 2015 werden weiter als Schatten über einer künftigen Regierung liegen.

Kompromisse mit der CSU über eine Obergrenze werden mit dem schlechten Ergebnis der Bayern möglicherweise noch einmal schwieriger. Zugleich müsste die CDU die Positionen der Grünen integrieren, die in der Flüchtlingspolitik der CSU diametral gegenüberstehen. So schaut man an diesem Abend von der CDU-Zentrale bang nach München. Die CSU hat dort ihr zweitschlechtestes Wahlergebnis der Nachkriegsgeschichte eingefahren. Auch sie konnte das Vermächtnis von Franz Josef Strauß nicht erfüllen und es nicht verhindern, dass rechts der Union eine demokratisch legitimierte Kraft nun im Parlament sitzt.

Merkel weiß, dass die CSU anstrengend ist, wenn sie der Union insgesamt zu einem starken Wahlergebnis verholfen hat. Vom Wähler abgestraft wird sie erst Recht eine Obergrenze für Flüchtlinge einfordern. Sie bleibt der härteste Knackpunkt einer neuen Koalition. Zwischen Grünen und Liberalen wiederum werden Kompromisse insbesondere in der Energie- und Umweltpolitik schwierig. Auch in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik werden sich die möglichen neuen Partner beharken.

Noch vor vier Jahren stand die Union mit 41,5 Prozent nahe der absoluten Mehrheit. Demgegenüber ist der Verlust dramatisch. Es ist Merkels schlechtestes Ergebnis bei ihren insgesamt vier Bundestagswahlen als Kanzlerkandidatin der Union. 2005 landete die Union bei 35,2. Nur 33,8 waren es 2009. Merkel hat gegen die in Teilen der Bevölkerung verbreitete Zwölf-Jahre-Merkel-sind-genug-Stimmung, die sich bei den AfD-Anhängern in einem „Merkel muss weg“ äußerte, diese Wahl gewonnen.

Während sich das geladene Parteivolk im Artrium des Adenauerhauses tummelt, sitzt die Kanzlerin mit ihren Vertrauten in der sechsten Etage zur Krisensitzung zusammen. Etwa eine Viertelstunde bevor die erste Prognose über die große Leinwand vor den Aufzügen Adenauerhaus flackert, positionieren sich die Männer und Frauen der Jungen Union mit ihren weißen Wahlkampfshirts vor den Kameras. „Voll muttiviert“ steht immer noch auf ihren Shirts. Sie sind es auch noch.

Die Partei-Regie lässt die Wahlplakate mal einsammeln. Das hält die aufgekratzten Wahlkämpfer aber nicht davon ab, auch bei gut 32 Prozent der ersten Prognose laut zu jubeln. Dabei ist das Ergebnis ein Desaster. Einige Parteimitglieder haben Tränen in den Augen. Als nur wenige Minuten nach 18 Uhr die TV-Bilder mit Gauland ins Adenauerhaus übertragen werden, stöhnt der Saal auf. „Zum Kotzen“, sagt einer.

Als erste findet die als mögliche Merkel-Nachfolgerin gehandelte saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer die Sprache wieder, die sich ein Jamaika-Bündnis gut vorstellen kann. Auch der frühere Hamburger Bürgermeister Ole von Beust ist zuversichtlich, was die neue Koalitionsoption angeht. „Die SPD meint das ernst, dass sie in die Opposition will. Angesichts des Ergebnisses ist das auch nachzuvollziehen, respektabel“, sagt er unserer Redaktion. Von Beust, der in seiner aktiven Zeit sowohl mit den Rechtspopulisten der Schill-Partei wie auch mit den Grünen koalierte, zeigt sich zuversichtlich, dass sich auf Bundesebene eine Jamaika-Koalition schmieden lässt.

Das Adenauerhaus ist seit Tagen im Ausnahmezustand. TV-Teams aus aller Welt bauten ihre Technik auf. Das Interesse an der deutschen Wahl ist auch wegen des Einzug der der AfD groß. „Rechtspopulisten sind in vielen Ländern in Europa stark. Wegen der deutschen Geschichte sind wir aber besonders besorgt“, sagt ein französischer Kollege. Derweil macht man sich im Adenauerhaus bei ein paar Gläsern Sekt die Hoffnung, dass die AfD an sich selbst scheitern wird.

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