Reaktionen der FDP Der zweite Rückzieher des Christian Lindner

Berlin · Seit dem Rückzug der FDP aus den Jamaika-Sondierungen um kurz vor Mitternacht hagelt es Kritik an den Liberalen. Wie war das mit dem German Mut, den Lindner dem Land verordnen wollte? Hat ihn nun selbst die Angst ergriffen?

Gerade haben Präsidium und Vorstand getagt, es soll Applaus aller Führungskräfte für Lindner gegeben haben. Von Grünen und aus der Union hat man gehört, dass die Verhandlungen kurz vor dem Abschluss gestanden hätten und sie die FDP nicht mehr verstünden. Lindner tritt mit Parteivize Wolfgang Kubicki auf. Anfangs wirkt er ruhig und gelassen, so als hätte er nicht die Regierungsbildung, sondern nur eine Familienfeier abgesagt.

Ärgerlich, weil lange geplant und schon viele Gäste eingeladen, aber so dramatisch auch wieder nicht. Später wird Lindner dünnhäutig und wirkt verärgert über Grüne und CDU. Die Atmosphäre der Sondierungen, das klingt durch, war nicht die beste.

Entscheidungen nicht aus einem Moment heraus

Lindner will jetzt die Erzählung von der neuen, prinzipientreuen und verantwortungsbewussten FDP fortschreiben. Schon vor Wochen hätte die FDP gewarnt, dass hier vier Parteien mit „teils widersprüchlichen Programmen“ sondieren würden. Er habe die Chancen, dass ein solches Bündnis zustande kommen könnte, deshalb nie höher als bei 50 zu 50 gesehen. Und er gibt Beispiele.

Sein Kollege Volker Wissing habe allein die Vereinbarungen zum Thema Landwirtschaft ein halbes Dutzend mal wieder aufnehmen müssen, obwohl man dachte, man hätte sich verständigt. Lindner sagt: „Deshalb bedauern wir, dass wir die Sondierungen nicht erfolgreich haben abschließen können.“

Natürlich treffe man eine solche Entscheidung nicht leichtfertig, nicht aus einem Moment der Spontanität heraus. Seit Donnerstagabend sei klar gewesen, dass die FDP erhebliche Zweifel hegt. Am Sonntagmorgen habe er den anderen Parteichefs diese Zweifel erneut dargelegt. Die Entscheidung sei aber erst am Abend gefallen, versucht er Mutmaßungen entgegenzutreten, es habe sich um eine Inszenierung gehandelt.

„Wir haben viele Kompromisse gemacht, aber es gibt auch einen Kern von Grundüberzeugungen“, sagt Lindner. 237 eckige Klammern habe es am Donnerstag noch gegeben. Mit eckigen Klammern sind jene Themen in den Papieren gekennzeichnet, bei denen noch keine Einigung erzielt werden konnte.

Ausschlaggebend: Diskussionen über den Soli

Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war offenbar der Soli. Die FDP habe sich von einer großen Steuerentlastung von 30 bis 40 Milliarden verabschiedet, sagt Lindner, mit dem Abbau des Solis aber zumindest eine Trendwende hin zur Entlastung dokumentieren wollen. „Am Ende war der Kompromissvorschlag das CDU-Wahlprogramm.“ Lindner wirkt verletzt, als er das erzählt.

Er nennt weitere zwei Komplexe, die ihn dazu veranlasst haben, einen Zettel vorzulesen, der mit den Worten endet, dass er lieber nicht als falsch regieren wollte. Auch für eine neue Bildungspolitik ohne Kooperationsverbot hätte es keine Bewegung der anderen Parteien Richtung FDP gegeben.

Bis zum Abend habe es keine Lösung gegeben, wie der Familiennachzug von eingeschränkt geschützten Flüchtlingen künftig geregelt werden soll. Am Ende nennt Lindner den vielleicht wichtigsten Grund für seine Absage: „Es fehlte das Vertrauen, das eine stabile Regierung gebildet werden könnte.“

Vor sechs Jahren hat er schon einmal einen Rückzieher gemacht. Damals schmiss er überraschend in schwierigster Lage als Generalsekretär des damaligen Parteivorsitzenden Philipp Rösler hin. Als vertrauensbildende Maßnahme dürfte der Schritt von Sonntagnacht nicht in seine Biografie eingehen. Rückzieher darf man sich in der Politik nicht oft erlauben.

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