TV-Duell der Verfolger Der spannende Kampf um Platz drei in Deutschland

Berlin · Nach den Kanzlerkandidaten von CDU und SPD richten sich die Augen auf die Spitzen von FDP, Grünen, Linken, AfD und CSU. Es wurde durchaus ein Kräftemessen mit Duellcharakter.

Berlin Munterer, spannender, kontroverser. Einen Tag nach dem Duell, das keines war, konnten die Spitzenkandidaten von Linken, Grünen, FDP, AfD und CSU im Fünfkampf die Kräfte messen - durchaus mit Duellcharakter. Da greift Christian Lindner von der FDP seinen Duzfreund Cem Özdemir von den Grünen an, attackiert der den CSU-Spitzenkandidaten Joachim Herrmann, duellieren sich die Linke Sahra Wagenknecht und die AfD-Frontfrau Alice Weidel.

Wie sie sich in dem stylischen Westhafen-Fernsehstudio aufstellen, so könnten sie im nächsten Bundestag sitzen. Links Wagenknecht, dann Özdemir, Herrmann, Lindner und außen Weidel von der AfD. „Keine Regeln“ sagen Bayerischer und Westdeutscher Rundfunk. Das schlägt sich auch in der Gesprächsführung nieder. Erstes Thema Digitalisierung, erster Politiker Lindner. Das ist sein zentrales Wahlkampfthema, da stellt er sich ganz bequem breitbeinig auf und feuert seine Themen sozusagen aus der Hüfte. Auch Weidel darf mehr Investitionen fordern, auch Herrmann darf Lindner zustimmen. Aber Özdemir soll dann was zur Bildung statt zum Digitalen sagen und ist verstört. Wagenknecht greift die Bildungsfrage formal auf und schwenkt dann gegen die CSU ein, die eingesehen habe, dass Privatisierung nichts bringt. Herrmann braucht gar nicht dazwischen zu grätschen, das übernimmt Lindner für ihn. Stehen da die Koalitionäre von morgen schon zu- oder noch nebeneinander?

Kampf ist noch offen

Anders als zwischen Union und SPD sind die Werte bei den Kleinen dicht an dicht. 6,5 bis acht Prozent würden die Grünen wählen, wenn nicht in drei Wochen sondern jetzt bereits gewählt würde, je acht bis zehn Prozent die FDP und die Linke, zwischen sieben und elf die AfD. Es ist also noch lange nicht ausgemacht, wer das Rennen um Platz drei macht, wer also als Koalitionspartner in Frage kommt und die politische Richtung mitbestimmt, wer bei einer neuen großen Koalition als Oppositionsführer besonders wahrgenommen wird.

Herrmann ist in dieser Runde der geborene Fremdkörper. Er ist nur in Bayern wählbar, steht hinter der Kanzlerkandidatin Merkel. Es ist verständlich, dass die CSU als eigenständige Partei antritt und es für ihr Standing wichtig ist, wieviel Prozentpunkte sie mit ins Gewicht bringt. Doch das Rennen um Platz drei ist nicht das, was eine Partei interessiert, die auf absolute Mehrheiten schielt.

Themen wurden vermischt

„Können wir jetzt nichts zum Euro sagen?“, fragt Lindner ungläubig, nachdem Wagenknecht ihren Punkt gemacht hat. Doch die Moderatoren bleiben bei ihrem zunächst schwer durchschaubaren Konzept. Sie fragen stattdessen Herrmann nach dem Familiennachzug. Der hat das Prinzip inzwischen durchschaut und bringt erst einmal die CSU-Wohnungspolitik als Antwort, weil diejenigen, die nachziehen, ja Wohnungen brauchen. Lindner ist an den Augen abzulesen, dass er sich gerade überlegt, zu welcher Einwanderungsfrage er etwas zum Euro sagen kann. Aber es ist für ihn zu verführerisch erst einmal das FDP-Einwanderungskonzept zu erklären.

Weidel kann daraufhin von qualifizierter Zuwanderung sprechen, kommt aber auch auf das Problem fehlender Papiere und geringer Abschiebungen zu sprechen und greift damit ausdrücklich die Politik von CDU und SPD an. Die können sich nicht wehren, sind nicht Teil des Fünfkampfes.

Özdemir, der Schwabe, bezieht Herrmann, den Bayern, mit ein und meint, auch sie beide hätten Deutsch lernen müssen, um bei der Sendung verstanden werden zu können. Ist das der Versuch, einen schwarz-grünen Schulterschluss hinzukriegen? „Ein Stichwort ist noch gar nicht gefallen…“, beginnt Özdemir, wird aber sofort unterbrochen. Christian Nitsche und Sonia Mikich, die Moderatoren, mögen nicht, rufen lieber noch mal die AfD-Frontfrau auf. Nach einer dreiviertel Stunde hat Wagenknecht zwei Minuten länger gesprochen als Lindner. Sie ist die Meisterin des Reingrätschens.

Charakter statt Doktortitel

Lindner holt auf, und Herrmann auch. Der soll nun Videoüberwachung und Vorratsdatenspeicherung erklären. Er liefert, und Lindner kommt aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus. Und macht Unterschiede zwischen Schwarz und Gelb klar. „Sie wollen ganz viel über unbescholtene Bürger wissen, ich glaube, der Staat muss möglichst viel über Gefährder wissen.“ So werden Unterschiede in kurzen Sätzen markiert.

Ein Experiment gelingt nicht ganz: Politiker fragen Politiker. Denn die nutzen das, um in der Frage erst einmal ihre eigene Position ausführlich darzulegen. Doch vom Grundsatz her funktioniert es, kann Weidel Wagenknecht wegen ihrer vernunftorientierten Politik loben, die Linke das Lob zurückweisen und Weidel umgekehrt fragen, wie sie sich den fühle, mit „handfesten Halbnazis“ in den Bundestag einzuziehen. Die AfD-Frau spricht vom hohen Akademiker-Anteil, worauf Lindner dazwischenruft, es gehe nicht um Doktortitel, sondern um Charakter. Echtes Ringen kommt zwischen Özdemir und Lindner auf dem Feld der Atomwaffen- und Russlandpolitik in Gang. Das wäre schon was, sie weiter beim konstruktiven Streit um Dialog und Konsequenzen in Sachen Ukraine beobachten zu können, ganz gleich, wer nun Platz drei entert. Zumindest diesen Vorgeschmack kann dieser „Fünfkampf“ liefern.

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