Zum Tode von Walter Scheel Der Sozialliberale

Bonn · Walter Scheel hat seine FDP in die – bis dahin – größte Belastungsprobe ihrer Existenz geführt und die Bundesrepublik zu einer Zäsur: Mit dem Wechsel zur SPD wurde die Entspannungspolitik möglich.

 Der frühere Bundespräsident Walter Scheel ist im Alter von 97 Jahren gestorben.

Der frühere Bundespräsident Walter Scheel ist im Alter von 97 Jahren gestorben.

Foto: picture alliance / dpa

Es gibt Assoziationen, die untrennbar mit einem Politiker verbunden sind. Manchmal sind sie würdig, manchmal ungerecht. Wer Willy Brandt sagt, denkt an den Kniefall von Warschau. Wer den Namen Walter Scheel hört, trällert: „Hoch auf dem gelben Wagen“. Und das ist ungerecht, war es immer schon, wird der Leistung dieses Liberalen in keiner Weise gerecht.

Das Lied, das er mit Düsseldorfer Männergesangvereinen kurz vor Ende seiner Amtszeit als Außenminister aufnahm und das es auf Platz fünf der deutschen Hitparade schaffte, hatte dennoch sein Gutes, wurde es doch zum Synonym für die Fröhlichkeit und Lebensfreude des gebürtigen Solingers – und anders als beim legendären gelben Pullover von Hans-Dietrich Genscher oder dem blaugelben Spielmobil von Guido Westerwelle war es nicht in erster Linie als Anspielung auf die liberalen Parteifarben gedacht.

Jener Hans-Dietrich Genscher war es auch, der sich im vergangenen Jahr – Anlass war der Tod von Egon Bahr – im Interview des Deutschlandfunks so einließ: Der Moderator sagt: „Wir können festhalten: Die Ostpolitik von Egon Bahr und Willy Brandt hat am Ende zur deutschen Einheit geführt.“ Genscher antwortet: „Ich würde auf jeden Fall Walter Scheel mit erwähnen.“

Das Leben des Walter Scheel in Bildern
17 Bilder

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Damit erinnerte Genscher an die zentrale, vielleicht sogar die wichtigste Rolle, die Scheel in der deutschen Politik Ende der 60er Jahre gespielt hat. Denn der Mann, der eigentlich in der Wirtschaft bleiben wollte, sich aber sofort nach dem Krieg der FDP anschloss und unter Konrad Adenauer der erste Entwicklungshilfeminister der Bundesrepublik wurde, führte nach der Bundestagswahl 1969 in ungeheurer Schnelligkeit und trotz eines mit 5,8 Prozent äußerst mickrigen Wahlergebnisses den Machtwechsel herbei – ohne den es, keine Frage, die neue Ostpolitik, die Entspannungspolitik nie gegeben hätte.

Scheel ergriff – unterstützt von Genscher – noch in der Wahlnacht die Chance, die sich aus dem, wenn auch knappen, Wahlergebnis ergab. Er wollte seine FDP nach drei Jahren Opposition gegen eine erdrückend große Koalition unter Kurt Georg Kiesinger (und Brandt) wieder in die Regierung bringen. Brandt, der Zauderer, wäre von sich aus zu dieser schnellen Entscheidung nicht gekommen.

"Schwerste Belastungsprobe"

Die Entscheidung für die sozialliberale Koalition wurde zur „schwersten Belastungsprobe unserer Parteigeschichte“ (Scheel) und zu der Zäsur in der deutschen Nachkriegspolitik – die ihren Vorläufer übrigens im frühen Wechsel der FDP von der Union zur SPD in Nordrhein-Westfalen gefunden hatte, unter tätiger Mithilfe Scheels.

Auf die Christdemokraten Adenauer, Erhard, Kiesinger folgte zum ersten Mal ein Sozialdemokrat als Kanzler – und ein Liberaler als Außenminister. Es wurde innen- wie außenpolitisch eine Zeit der Reformen. Oder wie es Horst Köhler, einer der Nachfolger Scheels im Amt des Bundespräsidenten, formulierte: „Scheel hat es als seinen Auftrag verstanden, neu und besser aufzubauen: das Land, die Herzen, die junge Demokratie.“

Wie sehr ihm das ein Anliegen war, zeigte seine denkwürdige Rede zur Abwehr des Misstrauensvotums gegen Willy Brandt im April 1972. „Diese Regierung hat keine Wunder bewirkt. Sie hat dieses Land aber vor einer gefährlichen außenpolitischen Isolierung bewahrt, sie hat zahlreiche Reformwerke durchgebracht...Das alles wollen Sie (gemeint sind die Unionsabgeordneten) aufs Spiel setzen, nur weil Sie es nicht vier Jahre lang auf den Bänken der Opposition aushalten können.“

Angefeindet von der Opposition

Das Misstrauensvotum schlug fehl, Brandt/Scheel hielten sich weitere zwei Jahre und konnten ihr Reformwerk im Innern und nach außen fortsetzen – angefeindet von der Opposition wegen Ostverträgen, die man dort als Verrat ansah, während heute weitgehend Einigkeit besteht, dass sie die deutsche Einheit ermöglicht haben. Absehbar war das damals freilich nicht. Ja, Scheel musste dem sowjetischen Außenminister Andrej Gromyko sogar einen „Brief zur deutschen Einheit“ schreiben, in dem er betonte, der Vertrag zwischen beiden Staaten stehe „nicht im Widerspruch“ zum deutschen Ziel, „auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt“. 19 Jahre später sollte es so weit sein.

Scheels Wirken als Bundespräsident – deutlich repräsentativer als das des Vorgängers Gustav Heinemann – ist unvorstellbar ohne seine zweite Frau Mildred, eine begnadete Ärztin, obwohl sie dem Amt wenig abgewinnen konnte. Tochter Cornelia schrieb später einmal, die Mutter sei „die Petersilie am Tellerrand“ des Präsidentengatten gewesen. Mildred Scheel machte das Beste aus der ungewollten Popularität, gründete 1974 die Deutsche Krebshilfe – und starb elf Jahre später selbst an dieser Krankheit.

„Sich seinen Freund nennen zu dürfen, ist ein Geschenk.“

Walter Scheel lebte fortan zurückgezogener, heiratete 1988 seine dritte Frau Barbara, was öffentlich problematische Wirkungen zeigte. Von Scheel, später zunehmend dement, wurden Äußerungen kolportiert, deren Authentizität heute bezweifelt wird. Was seiner politischen Leistung und seinem Ansehen null Abbruch tut.

Noch einmal Hans-Dietrich Genscher: „Sich seinen Freund nennen zu dürfen, ist ein Geschenk.“ Und Burkhard Hirsch, auch liberales Urgestein aus NRW: „Walter Scheel ist in meinen Augen einer der bedeutendsten deutschen Politiker der Nachkriegszeit.“

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