Atom-Endlager in Deutschland Der Bundestag und die Ewigkeit

Deutschlands Suche nach einem Endlager, das eine Million Jahre lang sicher sein soll, startet neu. Abgeordnete, die für vier Jahre gewählt wurden und meist über Kurzfristiges abstimmen, haben nun ein Gesetz verabschiedet. Eine Million Jahre: Wie lang oder wie absurd ist das?

 Deutschland sucht weiter ein Endlager für seinen Atommüll. Im Jahr 56 nach Inbetriebnahme des ersten Kernkraftwerks sind die oberirdischen Lager zum Bersten gefüllt. 1955 hatte die Bundesregierung erklärt, dass kein Atommeiler in Betrieb gehe, bevor nicht die Abfallfrage „unschädlich“ gelöst sei. Es kam anders. Der Staat startete mit der Atomenergie im Jahr 1961 wie ein Pilot ein Flugzeug – nur ohne Landebahn.

Deutschland sucht weiter ein Endlager für seinen Atommüll. Im Jahr 56 nach Inbetriebnahme des ersten Kernkraftwerks sind die oberirdischen Lager zum Bersten gefüllt. 1955 hatte die Bundesregierung erklärt, dass kein Atommeiler in Betrieb gehe, bevor nicht die Abfallfrage „unschädlich“ gelöst sei. Es kam anders. Der Staat startete mit der Atomenergie im Jahr 1961 wie ein Pilot ein Flugzeug – nur ohne Landebahn.

Foto: picture alliance / dpa

Zuletzt kamen die Bundestagsabgeordneten – nach menschlichem Maßstab – mit der Ewigkeit in Berührung. Sie haben ein Gesetz beschlossen, das regelt, wie ein Standort gefunden werden soll, der eine geologische Sicherheit über eine Million Jahre gewährt. Dort soll Deutschland dann seinen über Jahrzehnte entstandenen hochradioaktiven Atommüll verbuddeln.

Eines Tages muss somit ein Ministerpräsident seinen Bürgern und Wählern mitteilen, warum die anderen 15 Bundesländer über endlager-untauglicher Geologie liegen – und man selbst nicht. Und ganz am Ende steht schließlich ein Bürgermeister als Zielscheibe für sich aufschaukelnde Empörungswellen.

Bis zu diesem hochbrisanten Verkündungstag werden aber noch 14 Jahre vergehen, also eine – nach Politiker-Zeiträumen – halbe Ewigkeit. Kaum jemand von jenen Abgeordneten, die das jetzt beschlossen haben, wird dann noch im Amt sein. Im Jahr 2031, so lange dauert der Erkundungsprozess, wird sich folglich an einem Ort in Deutschland die gesamte Angst vor dem Atommüll entladen.

Anders als Hochgiftiges verursacht gefährlich Strahlendes und möglicherweise Krebsauslösendes weiter irrationale Gefühlslagen, wie sie sich in einschlägigen Umfragen manifestieren: Über 80 Prozent der repräsentativ befragten Bundesbürger geben zu, dass sie sich „sehr“ vor Atommüll fürchten. Ein durch die Jahrzehnte stabiler Wert.

Das Gesetz war im föderalen Deutschland notwendig geworden, um den hartnäckigen und weltweit wirksamen „Nimby“-Reflex zu überwinden. Nimby (Not in my Backyard = Nicht in meinem Hinterhof) heißt die internationale Version des deutschen Sankt-Florian-Prinzips („Heiliger Sankt Florian / Verschon mein Haus / Zünd and’re an!“).

Müllverbrennungsanlage, Verwahranstalt für straffällige Minderjährige, Strommasten für die Energiewende, Gefängnisklinik für Schwerstkriminelle, Endlager für hoch radioaktive Abfälle – so könnte das aufsteigende Ranking von Projekten aussehen, deren Notwendigkeit unbestritten ist, die aber niemand in seiner Nähe haben will.

„Das Zeugs muss ja irgendwo hin“, hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann gesagt, als er nach dem Fukushima-GAU eine Ethik-Kommission für das ungelöste Problem vorschlug. Will sagen: Über Jahrzehnte haben Land und Bürger Atomstrom aus der Steckdose gesaugt und sich gleichzeitig an einer Begräbnisstätte für die strahlenden Abfälle vorbeigemogelt.

Das Endlager-Suchgesetz will alle parteipolitischen Spielchen beenden, nur die wissenschaftliche (geologische) Erkenntnis soll zählen – und nicht (mehr) ein Kompass, der von Wählerstimmen- oder Milchviehdichte geeicht ist. Gleichwohl erscheint die Vorgabe „geologische Sicherheit für eine Million Jahre“ ziemlich verwegen.

Eine öffentliche Debatte dazu findet kaum statt, auch keiner öffentlich-rechtlichen TV-Talkshow war das Thema eine Sendung wert, obwohl nicht wenige Politiker das Endlager in den Rang einer „nationalen Frage“ gehoben hatten. Vielleicht fiel der öffentliche Exkurs auch deshalb aus, weil kein Mensch sich eine Zeitspanne von einer Million Jahren vorstellen kann.

Sie liegt so absurd weit von menschlichen Erfahrungshorizonten entfernt, dass das Thema bei Experten kompetent aufgehoben erscheint. Noch absurder: Das Eine-Million-Jahre-Problem entstand durch gerade einmal 60 Jahre Atomstromnutzung.

Doch auch die Fachleute müssen passen. Der schwedische Strahlenforscher Mikael Jensen sagt im Endlager-Dokumentarfilm „Into Eternity“: „Die kurze Antwort lautet, dass niemand auch nur das Geringste weiß“ – über die Zuverlässigkeit einer Prognose über eine Million Jahre. Schon der Veranschaulichungsversuch mit den ersten Höhlenmalereien – rund 1200 Generationen vor heute entfernt – ist untauglich.

Was war vor 35.000 Generationen? Da landet man beim Homo erectus, den der Anthropologe Richard Leakey einmal so beschrieb: „Homo erectus war die erste homine Art, die das Feuer benutzte; die erste, die das Jagen als Element zur Sicherung ihrer Nahrungsversorgung einsetzte; die erste, die wie ein moderner Mensch laufen konnte.“ Hätte also unser aufrecht gehender Vorfahre vor einer Million Jahren Atomabfälle vergraben, und würden wir zufällig erst heute an diesem „Endlager“ graben oder bohren: Wir hätten Glück gehabt.

Der Bundestag hat jetzt nicht nur ein Suchgesetz verabschiedet, sondern nebenbei eine zentrale Frage entschieden: Der Atommüll soll 500 Jahre lang rückholbar sein. Diese Entscheidung spiegelt eine gewisse Zuversicht: Dass künftige Generationen mit neuem Wissen den nuklearen Müll ihrer Vorfahren intelligenter entschärfen können als wir heute mit der „Verbuddeltechnik“. Darin liegt aber auch ein Risiko.

Michael Seiler, einer der Nuklearexperten Deutschlands, gab einmal zu bedenken: „An welchem Standort auf der Welt hätte ein um das Jahr 1500 errichtetes Zwischenlager auch nur ein, zwei Jahrhunderte überlebt?“ Und antwortet: „Brauchbare Dauerlösungen für den Umgang mit radioaktiven Abfällen funktionieren nur, wenn sie, einmal errichtet, nicht mehr auf menschliche Eingriffe angewiesen sind und wenn sie die radioaktiven Abfälle dauerhaft aus der Biosphäre entfernen.“

„Ohne menschliche Eingriffe“ bedeutet: keine Kontrolle, keine Bewachung, auch keine Rückholbarkeit, sondern hermetisch in Hunderten Metern Tiefe für alle Zeit abgeriegelt. Man muss sich das so vorstellen, dass die Abfälle verglast in die Tiefe gebracht werden und mit der Zeit eins werden mit ihrer Umgebung – wie eine prähistorische Fliege, die auf Baumharz landete und heute in Bernstein verewigt ist.

In Deutschland dreht sich in den nächsten Jahren in dieser Frage alles um Granit, weniger um Salz und Ton, die eher für ein ewiges Nukleargrab ohne Rückholmöglichkeit taugen. Es heißt, die dazugehörige Landkarte sei „weiß“, der Erkundungsprozess also völlig frei von politischer Geografie, womit der Bundestag wenigstens schon einmal das Sankt-Florians-Prinzip beerdigt haben wollte.

Unabhängig davon ist der Geologie im „Umgang“ mit dem radioaktiven Erbe mehr zu trauen als dem Menschen. Es existieren tatsächlich solche Schichten, in denen seit Jahrmillionen nichts passiert. Die müssen Wissenschaftler nun finden, wozu auch Bayerns Geologie gehört. Das Bayerische Landesamt für Umwelt hatte vorsorglich schon einmal eine Broschüre mit dem Titel „Kein Endlager in Bayern möglich“ gedruckt. Der Granit sei zu labil. Auch das wird nun wissenschaftlich und überparteilich geprüft.

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