Terrorfall Anis Amri De Maizière macht Düsseldorf Vorwürfe

Düsseldorf · Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagt als Zeuge im Amri-Ausschuss aus: „Man hätte einen Antrag auf Sicherungshaft gegen Amri stellen können.“ Die Grünen fordern ein neues Gutachten des Landes.

 Auf Gegenkurs zur Landesregierung: Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Dienstag als Zeuge in Düsseldorf.

Auf Gegenkurs zur Landesregierung: Bundesinnenminister Thomas de Maizière am Dienstag als Zeuge in Düsseldorf.

Foto: dpa

Es sind zwei Sätze, die eine monatelange Verteidigungslinie der rot-grünen Landesregierung erheblich infrage stellen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ist am Dienstag als Zeuge in den Untersuchungsausschuss des Landtags zum Terrorfall Anis Amri geladen. In ruhigem Tonfall trägt der 63-jährige Jurist ausführlich seine Einschätzung zum Behördenumgang mit dem späteren Weihnachtsmarkt-Attentäter vor. Dann bringt de Maizière die Nachricht des Tages auf den Punkt: „Man hätte spätestens ab Ende Oktober mit guten Gründen einen Antrag auf Sicherungshaft stellen können. Es wurde aber nicht einmal versucht.“

Der Bundesinnenminister gesteht zu, dass alle Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern trotz intensiver Terrorermittlungen gegen Amri am Ende die konkrete Anschlagsgefahr nicht richtig vorhergesagt haben. Ein „schuldhaftes Versäumnis“ könne er jedoch nicht feststellen. Sein Vorwurf zielt vielmehr in eine andere Richtung. Die nordrhein-westfälischen Behörden hätten nach dem Ausländerrecht gegen den Tunesier eine ganz normale Abschiebehaft für ausreisepflichtige Asylbewerber beantragen sollen. Der Attentäter war in Kleve gemeldet.

„Amri war illegal eingereist, hatte seinen Aufenthaltsort gewechselt, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist, und zumindest bestand nicht nur aufgrund der mehrfachen Identitätstäuschung eine Fluchtgefahr“, listet de Maizière Haftgründe auf. Das NRW-Innenministerium hatte stets dagegengehalten, ein solcher Haftantrag hätte vor Gericht niemals Bestand gehabt, da aus Tunesien nicht binnen einer gesetzlichen Frist von drei Monaten Passersatzpapiere für eine Abschiebung Amris zu bekommen gewesen wären.

De Maizière widerspricht entschieden: Der spätere Terrorist habe doch selbst die Verzögerung seiner Rückführung zu vertreten gehabt. „In diesen Fällen gilt die Drei-Monats-Frist überhaupt nicht.“ Der Bundesinnenminister blättert das mitgebrachte Aufenthaltsgesetz auf, um deutlich zu machen, dass die Düsseldorfer Argumentationsakrobatik der vergangenen Monate aus seiner Sicht Unsinn ist. „Man hätte wenigstens mal einen Antrag stellen sollen. Man hätte es versuchen müssen.“ Spätestens Ende Oktober 2016, nachdem Tunesien über Interpol die Identität Amris anerkannt hatte, hätte es demnach gute Chancen gegeben, bei Gericht mit ganz normaler Sicherungshaft durchzukommen.

De Maizières Aussage steht im Kontrast zum Regierungsgutachten des Gießener Strafrechtlers Bernhard Kretschmer, das die NRW-Behörden am Montag von Fehlern weitgehend freigesprochen hatte. Um das Gutachten ist jedoch ein Koalitionskrach entbrannt. Die Grünen fordern wegen Befangenheitsvorwürfen gegen Kretschmer ein neues Gutachten. „Wir wollen keine Debatte über den Gutachter führen, sondern Aufklärung in der Sache. Deshalb sollte jetzt über eine Neuvergabe des Gutachtens nachgedacht werden, denn gerade in einer solchen Untersuchung muss der Gutachter über jeden Zweifel erhaben sein“, sagte Landtagsfraktionschef Mehrdad Mostofizadeh unserer Zeitung.

Dass der von der Staatskanzlei im Januar beauftragte Gießener Strafrechtsexperte Kretschmer über einen Wechsel an die Universität Bielefeld verhandele, hätten die Grünen erst aus den Medien erfahren. „Wir sind immer von der vollständigen Unabhängigkeit des Gutachters ausgegangen“, kritisierte Mostofizadeh.

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hatte Kretschmers Beauftragung ausdrücklich mit dessen Unabhängigkeit begründet. Dass Kretschmer zu diesem Zeitpunkt bereits einen Wechsel in den NRW-Landesdienst plante, erwähnte sie nicht. Kretschmer erhielt am 14. Dezember 2016 einen Ruf an die Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Bielefeld. Das Berufungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

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