Interview mit Ex-Minister Das sagt Jürgen Trittin zur Entwicklung der Grünen

Bonn · Ex-Bundesumweltminister Jürgen Trittin spricht über die neue Doppelspitze der Grünen und die künftigen Machtperspektiven seiner Partei.

Welches Signal geht von der Wahl der neuen Doppelspitze mit Habeck und Baerbock aus?

Jürgen Trittin: Das ist natürlich ein Stück Erneuerung nach fast zehn Jahren Cem Özdemir und vier Jahren Simone Peter. Ein Neubeginn.

Was ändert sich denn durch die beiden?

Trittin: Der neue Bundesvorstand hat aus meiner Sicht zwei Aufgaben: Das Profil der Grünen nach außen als klare Alternative zur großen Koalition zu schärfen und die Partei nach innen durch ein neues Grundsatzprogramm fit für die Zukunft zu machen. Das traue ich den beiden zu. Unser Grundsatzprogramm ist von 2002. Wir brauchen eine neue Form der Selbstvergewisserung – gerade auch mit Blick auf 2021.

Was ist das besondere Talent von Robert Habeck?

Trittin: Er verbindet Überzeugung und Pragmatismus und hat das in praktischer Politik in Schleswig-Holstein bewiesen. Robert hat in fünf Jahren als Umwelt- und Energieminister nicht nur neue Ausbaurekorde bei den erneuerbaren Energien erzielt, sondern auch mehr Stromleitungen genehmigt als Horst Seehofer in seiner gesamten langen Amtszeit als bayerischer Ministerpräsident verhindert hat.

Sie haben persönlich für eine achtmonatige Übergangszeit für Habeck geworben, in der er noch Minister in Kiel bleiben darf. Warum?

Trittin: Ich war nicht für eine Lex Habeck, sondern dafür, eine Regelungslücke zu schließen, die wir bei der Trennung von Ämtern in der Satzung haben. Ich weiß sehr wohl aus eigener Erfahrung, dass man einen Spitzenjob in Partei oder Fraktion nicht neben einem anderen Job machen kann. Auf der anderen Seite brauchten wir eine vernünftige Lösung für Menschen, die wie Habeck jetzt noch in Regierungsämtern sind, die sie ordentlich abschließen müssen.

Wird es nicht ein Problem für Robert Habeck sein, dass er kein Bundestagsmandat hat?

Trittin: Das kann sein und kann auch nicht sein. Cem Özdemir und Claudia Roth mussten als Parteichefs neben der Fraktionshierarchie herlaufen, auch das war nicht immer einfach. Wichtig ist, dass Partei und Fraktion sich eng verknüpfen.

Eine Realo-Doppelspitze ist für Sie als Parteilinker kein Problem?

Trittin: Für mich wäre es eher ein Problem gewesen, wenn gar keine Linken kandidiert hätten. Aber mit Anja Piel hatten wir ja eine linke Alternative zu Annalena Baerbock. Ich sehe keine Verschwörung einer Strömung durch die neue Doppelspitze. Ich glaube, dass wir auch im Bundesvorstand wie in der Fraktion einen sehr ausgewogenen Mix haben, in dem alle Strömungen sich wiederfinden und an den sie sich gebunden fühlen.

War Anja Piel Ihre Marionette? Wir wissen ja, dass Sie in der Parteilinken großen Einfluss genießen und wie Piel aus Niedersachsen stammen.

Trittin: Nein. Die Frage grenzt mit Blick auf Anja schon an Beleidigung. Anja Piel ist niemandes Marionette. Ich habe ihren Mut bewundert, dass sie entschieden hat zu kandidieren gegen den Rat vieler, weil sie gesagt hat, die Partei muss auch eine Wahl haben.

Werden die Flügelkämpfe jetzt wieder stärker?

Trittin: Wir haben in den Jamaika-Sondierungen gezeigt, wie gut die Flügel kooperieren. Viele waren überrascht, dass bei den Grünen weniger Papier zwischen die Verhandler passte als bei allen anderen Delegationen. Das ist eine Kultur, die wir uns unbedingt erhalten sollten.

Regieren können die Grünen wohl nur noch in Dreierbündnissen, in denen entweder die Union oder die SPD der größere Partner sind. Welche Parteienkombination bevorzugen Sie?

Trittin: Wenn man verhindern will, dass die rechtspopulistische AfD Einfluss in einer Regierung bekommt, sind aktuell nur lagerübergreifende Koalitionen möglich. Deshalb ist es klüger, wenn die Grünen Bestandteil dieser lagerübergreifenden Koalitionen sind, als dass es andere sind. Das verkennt natürlich nicht, dass die programmatische Nähe, was zum Beispiel die Frage der sozialen Gerechtigkeit oder die Zurückdrängung ökonomischer Macht in den Händen einiger weniger angeht, zur SPD und zur Linkspartei größer ist als zur Union. Nur ist das bei diesen Mehrheitsverhältnissen eine rein akademische Frage. Nach dem jetzigen Stand haben wir uns sogar weiter von rot-rot-grünen Mehrheiten entfernt. Und zwar rechnerisch wie inhaltlich, wenn ich die Linkspartei sehe. Was aber 2021 sein wird, wissen wir heute nicht.

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