Kommentar zum Fall Mesut Özil Das Verhalten von Grindel ist scheinheilig und feige

Meinung | Berlin · Gelingende Integration ist keine Einbahnstraßen. Geben und Nehmen. Es gelten die Regeln der Mehrheitsgesellschaft, ohne dass deswegen jemand hier seine Wurzeln verleugnen müsste, kommentiert Holger Möhle.

Ein Fußballspieler, ein Staatspräsident, ein Foto. Und fertig sind die Zutaten für eine Riesendebatte. Um die Gemüter vielleicht abzukühlen: Eine Staatsaffäre wird daraus nicht. Aber der Fall Özil, der auch Fall des DFB-Präsidenten Reinhard Grindel ist, hat eine Debatte darüber ausgelöst, was Integration wirklich leisten kann und wo sie trotz nachweisbarer (sportlicher) Erfolge an ihre Grenzen kommt.

Durfte er, sollte er, musste er? Mesut Özil ist ein außerordentlich begabter Fußballspieler, ein Künstler, keine Konstanzmaschine wie Toni Kroos. Recep Tayyip Erdogan wiederum ist ein außerordentlich skrupelloser Politiker, den der versuchte Militärputsch vor zwei Jahren gegen sich noch gnadenloser hat werden lassen – gegen seine Gegner.

Jetzt hat auch Özil, führender Spieler der deutschen Weltmeister-Mannschaft von 2014, viele Gegner im Land. So wie er vorher viele Bewunderer hatte. Berufsfußball ist ein Milliarden-Geschäft. Großer Zirkus, was gewissermaßen auch für die Berufspolitik gilt. Insofern passt das Foto, das Özil und Ilkay Gündogan, weiterer deutscher Nationalspieler mit türkischen Wurzeln, vor der WM mit Erdogan zeigt.

Ein Foto mit beinahe schon absurden Folgen. Selbst wenn man unterstellt, dass sowohl Özil wie auch Gündogan total unpolitisch und völlig naiv seien, müssten sie mitbekommen haben, dass sie Vorbilder einer Einwanderer-Gesellschaft sind, die es in der dritten Generation geschafft hat, sich hierzulande in großen Teilen erfolgreich zu integrieren. Aber dann posierten sie mit Erdogan, nicht mit ihrem Präsidenten Frank-Walter Steinmeier, bei dem sie später noch antreten durften, aber da waren die unsäglichen Fotos schon in der Welt.

Gelingende Integration ist keine Einbahnstraße. Geben und Nehmen. Es gelten die Regeln der Mehrheitsgesellschaft, ohne dass deswegen jemand hier seine Wurzeln verleugnen müsste. Auch Özil nicht, der auch kein Opfer von Rassismus ist, sondern sich zu einem solchen stilisiert. Aber: Der Deutsche Fußball-Bund hat in der Angelegenheit völlig versagt.

Das gilt vor allem für die Scheinheiligkeit und die Verlogenheit, mit der DFB-Präsident Grindel versucht hat, den Zorn über das desaströse sportliche Auftreten der deutschen Mannschaft bei der WM auf letztlich einen Spieler zu richten: auf Özil. Das ist feige. Über Grindels Rolle darf mindestens in dem Maße diskutiert werden wie über die Fehlleistungen von Özil und Gündogan. Interessanterweise hat es Gündogan mit wenigen, nicht sehr inhaltsreichen Sätzen geschafft, sich selbst noch vor der WM aus der Schusslinie zu bringen.

Der Rücktritt von Özil kann wie eine Zäsur wirken: Sportlich, politisch, gesellschaftlich. Das ist gemessen an der Bedeutung der Aufgaben eines Fußball-Spielers schon fast zu viel Gewicht. Es ist wie es ist: Deutschland muss 2018 ohne Sommermärchen auskommen. Der Traum ist ausgeträumt.

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