Kommentar zum Treffen mit Anschlagsopfern Das Empathie-Versagen von Angela Merkel

Meinung | Berlin · Merkels Treffen mit den Opfern kam fast ein Jahr zu spät. Dem staatlichen Behördenversagen muss somit ein Empathie-Ausfall hinzugefügt werden, kommentiert Gregor Mayntz.

 Ein Mann macht ein Foto der provisorischen Gedenkstätte für die Opfer des Anschlags vom Breitscheidplatz in Berlin.

Ein Mann macht ein Foto der provisorischen Gedenkstätte für die Opfer des Anschlags vom Breitscheidplatz in Berlin.

Foto: dpa

Wie oft hatte die Regierung es bereits vor dem 19. Dezember 2016 gesagt, dass Deutschland im Fadenkreuz des islamistischen Terrorismus stehe und ein Anschlag nicht ausgeschlossen werden könne? Zehn Mal? Hundert Mal? Tausend Mal? Jedenfalls einmal zu wenig, um selbst darüber nachzudenken, auf was es im Falle eines derartig schlimmen Falles zu achten gilt. Es ist schwer nachzuvollziehen, dass die Warnungen die Behörden beim Umgang mit Opfern kalt erwischten. Dabei gibt es doch viel geschultes Personal, das mit den Folgen etwa von Zugunglücken umzugehen gelernt hat.

Nur Terror, das war dann ein Fall für die kriminalistische Spurensuche, die schnelle Fahndung und des baldigen Vertuschens von Einschätzungsfehlern. Das war kein Fall für Opfer. Die Behörden waren auf diesen Aspekt schlecht vorbereitet. Die Berliner Landesregierung fühlte bald, dass die Opfer einen Ansprechpartner brauchten. Der Bund ließ sich ein Vierteljahr Zeit dafür. Und erst danach kam es Behörde für Behörde zu einer kritischen Durchsicht ihrer auf Fahndungsoptimierung und Vorschriftenerfüllung ausgelegten Verhaltensweise. Zum Beispiel, wenn sich die Spitzen des Staates vor den Todesopfern verneigen, die Angehörigen zur selben Zeit wegen einer Nachrichtensperre aber noch nicht wissen dürfen, ob der Vermisste unter den Toten ist, dann ist das vielleicht ungewollt zynisch. Auf jeden Fall ist es grausam.

Es gehört zur behördlichen deutschen Effizienz, Fehler aufzuarbeiten und Konsequenzen zu ziehen. Vielleicht klappt es beim nächsten Mal besser. Allerdings brauchte auch der Bundestag ein Jahr, um sich für bessere Opferentschädigung auszusprechen. Es darf nicht bei der beklemmenden Lösung bleiben, dass Terroropfer von der Verkehrsopferhilfe besser entschädigt werden, wenn ein Fahrzeug als Waffe benutzt wurde. Da ist schon genug zu tun. Es besteht die Hoffnung, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der Ansage des Bundestages und nach ihrem eigenen Versprechen zügig an die Verbesserungen herangeht. Wenigstens gehört Effizienz zu ihren Stärken.

Die Erwartung von Empathie erfüllte sie indes nicht. Schon kurz nach dem Anschlag wirkte ihre spröde Sprache irritierend. Wo Helmut Schmidt als erste Reaktion auf Terror seinen „tiefen Zorn“ den Tätern entgegenschleuderte, wünschte Merkel den Fahndern „gutes Gelingen“. Und einem nach Orientierung suchenden Volk verkündete sie: „Eine einfache Antwort darauf habe ich auch nicht.“ Dazu passte es, die Zuständigkeiten zu durchdenken. Teilnahme an einer Trauerfeier? Abgehakt. Kontaktaufnahme mit Angehörigen? Sache der örtlichen Behörden. Staatliches Bekunden von Mitgefühl? Macht der Bundespräsident.

Merkels Treffen mit den Opfern kam fast ein Jahr zu spät. Dem staatlichen Behördenversagen muss somit ein Empathie-Ausfall hinzugefügt werden.

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