FDP-Parteitag in Karlsruhe Christian Lindner stiehlt dem Parteivorsitzenden Philipp Rösler die Schau

KARLSRUHE · Es ist ein Moment, wie er emotionaler nicht sein kann: Philipp Rösler nimmt gerade die Ovationen der offiziell 662 Delegierten entgegen, als er plötzlich jemandem unter den Delegierten zuwinkt, er möge doch auf die Bühne kommen. Der "Jemand" ist seine Frau Wiebke, die unter den niedersächsischen FDP-Landesdelegierten nur wenige Meter entfernt aufgestanden ist, um ihn für seine gut einstündigen rhetorischen Anstrengungen zu belohnen.

Sie ziert sich. Da springt der FDP-Vorsitzende in den Saal, holt seine in einem roten Kleid gewandete Frau nach vorne, um sie für acht Sekunden zu umarmen. Es ist so, als ob dem emotional sonst eher zurückhaltenden Parteichef in diesem Moment Zentnerlasten von der Seele purzeln. Er küsst seine Frau so inniglich, als wolle er nicht mehr aufhören. Fünf Minuten dauert da schon der stehend dargebotene Applaus einer begeistert wirkenden Delegiertenschar in der Karlsruher Messehalle.

Rösler wird es an diesem Samstag aber alles andere als leicht gemacht. Schon bei der namentlichen Begrüßung durch Parteivize Birgit Homburger schneidet Rösler, bei dem das erste Jahr unter der Triplebelastung FDP-Vorsitz/Vizekanzler/Wirtschaftsminister tiefe Spuren im Gesicht hinterlassen hat, schlecht ab. Der Applaus für den NRW-Spitzenkandidaten der Liberalen, Christian Lindner, ist begeistert; ebenso für den Kieler Spitzenmann Wolfgang Kubicki. Beinahe schon Tradition haben die lautstarken Sympathiebekundungen für Fraktionschef Rainer Brüderle. Der Applausometer für den Vorsitzenden kommt da nur auf Durchschnittswerte.

Ein zweiter Umstand erschwert den Auftritt von Rösler: Vor ihm spricht Kubicki. Mit seinem innerparteilichen Intim-Gegner hatte der FDP-Chef am Vorabend an der Bar eines Karlsruher Edel-Hotels das "Du" vereinbart. Der Kieler verkündet dies wie einen Friedensschluss in seiner viertelstündigen, hastig gehaltenen Rede. Man sei in der Frage der Durchsetzung von Steuersenkungen "auf ganzer Front stecken geblieben". Kubicki regt in diesem Zusammenhang eine Senkung der Mehrwertsteuer auf 16 Prozent an. Das ist ebenso spektakulär wie sein Eintreten für eine Erhöhung des Spitzensteuersatzees für Bürger, die mehr als 250.000 Euro pro Jahr verdienen.

"Kubicki ist halt Kubicki", meint ein Delegierter. Ein richtiges Problem für Rösler wird - sein früherer Generalsekretär Lindner. Der liefert an diesem Tag einen furiosen Auftritt ab; frei gehalten. Seine kämpferische Rede ist in Stil und Bildern fehlerfrei. Ihm bleiben keine drei Wochen Zeit, seine Partei über das politische Existenzminimum der Fünf-Prozent-Klausel zu hieven. Verschiedene Demoskopie-Institute sollen übrigens signalisiert haben, dass der Kampf der FDP mit der Fünf-Prozent-Hürde Tag für Tag aussichtsreicher wird. Lindner spart nicht mit Kritik an der Spitze der Partei.

Lindner will unmittelbar nach seiner Rede wieder zurück in den NRW-Wahlkampf. Seine Berater sagen ihm, das könne als Affront gegen Rösler gewertet werden, der wenig später sprechen soll. Die Delegierten sind wegen des Lindner-Auftritts außer sich vor Begeisterung . Linder stellt sich nicht nach seiner Rede dem mediengerechten Shake Hands mit dem Parteichef, sondern eilt fluchtartig zu den NRW-Delegierten im Saal.

Eine gnädige Parteitagsregie hat zwischen Lindners Rede und Röslers Rechenschaftsbericht den Tagesordnungspunkt "Rechenschaftsbericht des Schatzmeisters" geschoben, damit sich der Adrenalinspiegel bei den Delegierten etwas senken kann.

"Weil es notwendig war", antwortet ein enger Berater auf die Frage, warum Rösler über lange Phasen seine Rede mit derart viel Pathos unterlegt hat. Er habe auf diese Weise deutlich machen wollen, dass er nicht mehr alles mit sich machen lassen werde. Rösler trägt zu Beginn seine Rede mit Grabesstimme vor: "Uns alle eint die Sorge nicht nur um die FDP, sondern um die Liberalität und Zukunft unseres Landes." Aber er macht auch deutlich, dass der Zeitgeist immer mehr "nach links rückt" und die FDP damit "unverzichtbar" werde.

Rösler verteidigt beinahe verzweifelt seinen Ansatz, den Wachstumsbegriff in das Zentrum der künftigen Wahlkämpfe zu stellen. "Wer Wachstum beschneidet, beschneidet die Freiheit - das ist die Stoppschild-Demokratie." Vor allem für drei Bereiche gelte das Röslersche Wachstumsprinzip: für Toleranz und Bürgerrechte, Bildung und Innovation und der wirtschaftlichen Vernunft. Doch wie sich Rösler auch müht: Die Basis applaudiert kaum, reagiert mit müdem Applaus und steigendem Stimmpegel während der Rede. Bei der anschließenden Debatte gehen von etwa zwei Dutzend Rednern gerade zwei - durchaus mit kritischem Unterton - auf die Wachstumsidee ein.

An einer Stelle schlägt Rösler offene Kritik entgegen. Er hatte in seiner Rede die deutsche Piraten-Partei mit den kriminellen somalischen Piraten verglichen. Am Ende seiner Rede wird er dann wieder pathetisch: In der Demokratie könne man "Wahlen verlieren, man kann seine Ämter verlieren. Aber man darf niemals seine Überzeugung verlieren."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort