Problemklientel Bundesregierung prüft Gründung von Jugendheimen in Marokko

Berlin · Marokkanische Jugendliche gelten in den Einrichtungen der Jugendhilfe als Problemklientel. Viele stammen aus zerrütteten Familien. Sie haben sich zum Teil vor ihrer Ankunft in Deutschland alleine auf der Straße durchgeschlagen.

Flur im Kinder- und Jugendhilfezentrum der Heimstiftung Karlsruhe.

Flur im Kinder- und Jugendhilfezentrum der Heimstiftung Karlsruhe.

Foto: Uli Deck/Illustration

Die Bundesregierung überlegt wegen der Probleme mit elternlosen Kindern und Jugendlichen aus Marokko, Heime in dem nordafrikanischen Land zu schaffen.

Dort könnten dann nicht nur Straßenkinder untergebracht werden, sondern auch minderjährige Rückkehrer aus Deutschland. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion hervor, gestellt von der flüchtlingspolitischen Sprecherin Luise Amtsberg.

Darin heißt es: "Die Bundesregierung prüft derzeit die Möglichkeit, in Marokko im Rahmen eines Projektes Einrichtungen zu schaffen, die Minderjährigen, die dort in benachteiligten Situationen leben, eine Zukunftsperspektive eröffnen (...)." In diesen Unterkünften sollten Jugendliche auch eine medizinisch-pädagogische Betreuung erhalten sowie die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen oder eine Ausbildung zu absolvieren. Den Angaben zufolge richtet sich das Angebot in erster Linie an Straßenkinder, die vor Ort leben. Perspektivisch könnten aber auch "in Deutschland ausreisepflichtige unbegleitete minderjährige Marokkaner, die in ihre Heimat zurückkehren, diese Einrichtungen nutzen". Zur Zielgruppe gehören explizit auch junge Straftäter, die Deutschland verlassen sollen.

"Natürlich ist es begrüßenswert, wenn sich die Bundesrepublik vor Ort in Marokko für benachteiligte Minderjährige einsetzen möchte", sagte Amtsberg. Wenn dieses Angebot dazu führen sollte, dass weniger Kinder und Jugendliche zur Flucht gezwungen würden, dann sei dies ein richtiger Ansatz. Diese Unterstützung dürfe aber nicht mit dem Plan verknüpft werden, unbegleitete Minderjährige in das "vermeintlich sichere Marokko" abzuschieben. Was die Bundesregierung als Fluchtursachenbekämpfung deklariere, orientiere sich weder an Menschenrechten noch am Kindeswohl, sondern diene nur der Abschottung.

Die stellvertretende Vorsitzende der Linke-Fraktion, Heike Hänsel, sagte: "Wir wollen keine Abschiebung von Minderjährigen." Entwicklungshilfe dürfe nicht an "Migrationsabwehr" gekoppelt werden. Es sei auch merkwürdig, dass über dieses Projekt im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) beraten werde und nicht im Entwicklungsministerium.

Das Konzept für das dreijährige Projekt, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, soll von einer Nichtregierungsorganisation umgesetzt werden. Es sieht zunächst die Gründung von zwei Heimen mit jeweils 100 Plätzen vor. Die Ausgaben pro Jahr und Heim werden auf 960 000 Euro geschätzt - bei angenommenen Kosten von 800 Euro pro Monat und Kind. Nach Ablauf der drei Jahre soll die marokkanische Regierung die Einrichtungen betreiben. Die Bundesregierung betonte, die Planungen befänden sich noch in einem frühen Stadium.

In Deutschland leben derzeit mehr als 60 000 unbegleitete minderjährige Ausländer, die von den Jugendämtern begleitet werden. Sie leben in Heimen, bei Gastfamilien oder in betreuten Wohngemeinschaften. Viele Kinder und Jugendliche aus Marokko, die alleine nach Deutschland kommen, sind Waisen oder stammen aus zerrütteten Familien. Die Caritas betreibt in der marokkanischen Hauptstadt Rabat ein Zentrum für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Staaten.

Im vergangenen Jahr waren aus Deutschland keine unbegleiteten minderjährigen Ausländer abgeschoben worden. Wollten die Behörden ihre Praxis ändern, wäre dazu aber nach Auskunft des Bundesinnenministeriums keine Gesetzesänderung notwendig.

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