"Machen ist wie wollen – nur krasser" Bundesminister Giffey und Spahn im Interview

Düsseldorf · „Aus der Mode gekommen ist der Kompromiss.“, sagt Bundesministerin Franziska Giffey von der SPD. Sie und ihr Amtskollege Jens Spahn (CDU) sprechen im Interview mit dem GA über die Pflege, die große Koalition und die Zukunft der Volksparteien

 Zwei Bundesminister im Gespräch: Familienressortchefin Franziska Giffey und ihr Kollege an der Spitze des Gesundheitsministeriums, Jens Spahn.

Zwei Bundesminister im Gespräch: Familienressortchefin Franziska Giffey und ihr Kollege an der Spitze des Gesundheitsministeriums, Jens Spahn.

Foto: Marco Urban

Sie sind die jungen Aufsteiger in ihren Parteien und in der schwarz-roten Bundesregierung: Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

Sie haben sich als Minister im Kabinett kennengelernt. Was schätzen Sie am jeweils anderen?

Jens Spahn: Franziska hat immer gute Laune und zeigt das auch. Ein Westfale wie ich ist da eher… sagen wir: …zurückhaltender (lacht). Sie packt gerne an, das mache ich auch. Das Schönste ist, wenn sie vor Kindern steht und sagt . . .: Wie ging der Spruch noch?

Franziska Giffey: Machen ist wie wollen – nur krasser.

Spahn: Genau.

Giffey: Es gibt Menschen, die erklären, was nicht geht und es gibt die anderen, die sagen: Wir gucken mal, ob es nicht doch geht. Zu denen gehört Jens und ich würde mich auch dazu zählen. Für uns ist klar: Wir arbeiten an der Sache, wir versuchen etwas hinzukriegen und wir treten uns nicht gegens Schienbein. So ist auch die Konzertierte Aktion Pflege angelaufen – gemeinsam mit Hubertus Heil.

Wäre es für die CDU besser gewesen, Herr Spahn wäre Parteichef geworden?

Giffey: Solche Fragen sind müßig.

Wäre es ein großer Verlust, würde Frau Giffey wegen eines entzogenen Doktortitels zurücktreten?

Spahn: Natürlich, zumal für ihre Partei. Doch jetzt sollten wir erst einmal abwarten, wie ihre ehemalige Universität entscheidet. Ich finde es allerdings beachtlich, dass Franziska ihre Konsequenzen für den Fall, dass sie den Doktortitel verliert, schon erklärt hat. Das respektiere ich.

Sie haben gemeinsam Gesetze zur Pflege auf den Weg gebracht. Sind Ihre Maßnahmen denn schon für die Pflegebedürftigen spürbar?

Spahn: Es ist zumindest spürbar, dass sich etwas verändert. Wir kümmern uns mit drei Ministern um die Pflege: der Arbeitsminister um gerechtere Bezahlung, die Familienministerin um bessere Ausbildung. Und der Gesundheitsminister um mehr Pflegekräfte und attraktivere Arbeitsbedingungen. Zugegeben: Es sind noch nicht alle neu geschaffenen Stellen besetzt. Aber sie sind finanziert, das ist wichtig. Im Sommer haben wir einen Plan vorgelegt, wie wir zusammen mit allen drei Ministerien und allen Beteiligten der Branche die Pflege besser machen wollen. Jetzt sind wir in der Umsetzung.

Giffey: Wir haben in allen Bereichen der Pflege nicht genug Leute. Beispielsweise gibt es für 100 offene Stellen in der Altenpflege nur 27 Bewerber. Wir müssen also mehr Menschen gewinnen, die diesen Beruf machen. Deshalb haben wir im Januar die Ausbildungsoffensive Pflege gestartet. Bis 2023 wollen wir zehn Prozent mehr Ausbildungsplätze und zehn Prozent mehr Auszubildende. Das ist ein großer Sprung, bei dem viele Partner mithelfen. Zum 1. Januar 2020 wird auch endlich das Schulgeld in der Pflege abgeschafft.

Wie sieht die neue Pflegeausbildung aus?

Giffey: Wir brauchen eine attraktive Ausbildungsvergütung mit Tarifbindung für alle, bei der dann schon im ersten Ausbildungsjahr 1100 Euro im Monat drin sind. Mit der neuen generalistischen Pflegeausbildung kann man künftig in die Kranken-, in die Alten- oder in die Kinderkrankenpflege gehen. Das werden wir auch mit einer großen Kampagne bewerben. Wir bauen dafür ein 40-köpfiges Beratungsteam auf, das bundesweit gezielt in Pflegeschulen und Pflegeeinrichtungen berät und informiert. Und wir werden auch auf Berufsmessen präsent sein.

Wie viele Pflegekräfte fehlen aktuell in Deutschland?

Spahn: Das ist schwer zu schätzen. Aber wenn alle Stellen besetzt würden, die finanziert werden könnten, sind es wahrscheinlich deutlich mehr als 50 000. Klar ist: Der Bedarf an Pflegekräften ist riesig. Bei den Pflegeheimen und Pflegediensten deutlich mehr als bei Krankenhäusern. Und klar ist auch, dass wir das nur schaffen, wenn wir alle Register ziehen: Ausbilden, umschulen, besser bezahlen – und Pflegekräfte aus dem Ausland anwerben.

In der Regel sind es Frauen, die private häusliche Pflege leisten. Die stehen aber immer weniger zur Verfügung. Wie wollen Sie dieses Standbein der Pflege angesichts der stark gestiegenen Erwerbsarbeit von Frauen sichern?

Giffey: Die pflegenden Angehörigen sind zu rund 70 Prozent Frauen. Es geht deshalb nicht allein um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern auch von Pflege und Beruf. Pflegende Angehörige müssen oft finanzielle Einbußen hinnehmen. Das zinslose Darlehen, das man heute schon für die Pflege von Angehörigen aufnehmen kann, wird aber nicht so gut angenommen. In einer so schwierigen Situation scheuen vermutlich viele davor zurück, auch noch ein finanzielles Risiko einzugehen.

Was ist die Alternative für pflegende Angehörige?

Giffey: Bei uns im Bundesseniorenministerium denken wir über eine Art Lohnersatzleistung nach: ein Familienpflegegeld analog zum Elterngeld, das über einen gewissen Zeitraum gezahlt wird. Das ist zunächst mal eine Idee. Wir haben dafür noch keine Finanzierung und das ist sicherlich auch nichts für diese Legislatur, aber wir müssen uns mit dieser gesellschaftlichen Zukunftsaufgabe auseinandersetzen und darüber diskutieren, wie wir pflegende Angehörige besser und spürbar unterstützen. Bis 2050 wird es Prognosen zufolge 4,5 Millionen Pflegebedürftige geben. Ein Familienpflegegeld würde das Pflegesystem auch insgesamt entlasten. Diejenigen, die zu Hause von Angehörigen betreut werden, müssen nicht in Heimen und nur zum Teil von ambulanten Diensten versorgt werden.

Viele Sozialdemokraten sind der großen Koalition überdrüssig. Macht Ihnen da Ihre Partei Angst?

Giffey: Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Aber natürlich brauchen wir auch eine Kommunikation nach innen. Ich mache das seit über einem Jahr. Ich bin ganz klar dafür: Verträge sind einzuhalten. Wir haben einen Vertrag gemacht, in dem gute Sachen für Deutschland stehen. Das müssen wir vernünftig umsetzen und auch sagen, was der sozialdemokratische Anteil ist. Und der ist ganz schön groß. Wir sollten klar machen, dass wir weiterhin für die gute und verlässliche Arbeit in dieser Regierung stehen. Ich hoffe sehr, dass das gelingt.

Spahn: Ich war gegen eine Neuauflage der großen Koalition. Aber wenn sich gewählte Parteien in einem demokratischen Prozess dafür entscheiden zusammenzuarbeiten, dann ist es unsere Verantwortung und Pflicht, das Beste daraus zu machen. Und das ist gelungen. Unsere Halbzeitbilanz kann sich sehen lassen. Wir arbeiten gut zusammen. Deshalb bin ich dafür, dass wir die Habenseite herausstellen.

SPD und CDU haben mit der Krise der Volksparteien zu kämpfen. Sind die Volksparteien aus der Mode gekommen?

Spahn: Wir erleben eine zunehmende Unerbittlichkeit in Politik und Gesellschaft. Sei es in der Debatte um die Klimapolitik, in der Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Rändern, im Ringen in der CDU zwischen der Werte-Union und der Union der Mitte – das alles verläuft nach dem gleichen Motto: Wer meine Meinung nicht teilt, muss bekämpft werden. Andere Meinungen werden nicht geduldet. Das Bedürfnis nach Zusammenhalt und gemeinsamen Werten vieler Menschen ist aber riesengroß. Der politische Diskurs widerspricht zunehmend den Erwartungen der Gesellschaft. Ich bin davon überzeugt: Die Bürger suchen Parteien und Politiker, die das Land zusammen halten, nicht welche, die das Land spalten.

Giffey: Aus der Mode gekommen ist der Kompromiss. Die politische Einigung zwischen zwei völlig verschiedenen Positionen wird wenig geschätzt. Aber Politik ist doch immer die Kunst des Möglichmachens. Wenn man zusammenarbeitet, werden einem die eigenen Wünsche nicht zu 100 Prozent erfüllt …

Spahn: … das ist in der Familie ja schon nicht so ...

Giffey: … immer da, wo Menschen zusammenkommen, muss man Kompromisse machen, und sei es beim gemeinsamen Urlaubsziel. Der Kompromiss wird häufig als Niederlage ausgelegt statt anzuerkennen, dass ein Weg gefunden wurde, mit dem verschiedene Seiten leben können. Für mich ist eine moderne Volkspartei die, die unterschiedliche Interessen zusammenbringt. Es ist ja nicht so, wie Du sagst, dass die SPD immer nur über das Soziale redet.

Spahn: … macht sie aber leider …

Giffey: … das stimmt nicht, mein Lieber. Es ist sehr wichtig, dass wir eine Balance finden ...

Spahn: … vielleicht musst Du doch noch für den Parteivorsitz kandidieren...

Giffey: … nun hör´ doch mal auf. (lacht) Es muss einen Ausgleich der Interessen geben zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Fragen. Das macht eine Volkspartei aus. Wenn man sich nur um ein Thema kümmert, kommt man aus dem Gleichgewicht. Deshalb braucht es die Volksparteien, die ausgleichen können – für eine gute gesamtdeutsche Entwicklung. Deswegen braucht es eine starke Sozialdemokratie.

Spahn: Ja, und es braucht zwei große Volksparteien, die sich unterscheiden und im Wettbewerb zueinander stehen. Wenn die Menschen das Gefühl haben, dass es zwischen SPD und Union keinen Unterschied mehr gibt, suchen sie im Zweifel das Extreme. Das ist auch das Schwierige für eine Koalition wie unsere: gut gemeinsam zu regieren und gleichzeitig den Unterschied herauszuarbeiten ...

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