Nachruf Horst Ehmke Brandts Reformer und Kämpfer für Bonn

Berlin/Bonn · Im Alter von 90 Jahren ist Horst Ehmke gestorben. Er war Professor, Minister, Kanzleramtschef und Abgeordneter - und kämpfte dabei stets für Bonn als Sitz von Bundestag und Bundesregierung.

Willy Brandt nannte ihn einen „Spezialisten für alles“ – unter anderem auch für dessen Ostpolitik. Aber Horst Ehmke war auch ein Spezialist für Bonn. Mit dem Blick von Danzig aus liege auch Berlin sehr weit im Westen, sagte der frühere Chef des Kanzleramtes und Bundesminister für besondere Aufgaben. Sein Eintreten für Bonn als Sitz von Bundestag und Bundesregierung auch im geeinten Deutschland war Ehmke eine besondere Aufgabe.

Den Berlin-Befürwortern in der Debatte über den Regierungssitz mochte sich der SPD-Politiker jedenfalls nicht anschließen, wonach Bonn zu sehr für die alte westliche Bundesrepublik und zu wenig für das wiedervereinte Deutschland stehe. Während Bundespräsident Richard von Weizsäcker offen für Berlin plädierte, fragte Ehmke spitz zurück: „Wann ist denn Deutschland von Berlin aus politisch verantwortlich regiert worden? Die Antwort muss leider lauten: selten oder nie.“ Es half alles nichts. Ehmke, in Danzig geboren, konnte den Beschluss des Bundestages für Berlin nicht verhindern. Das Parlament und große Teile der Regierung zogen also nach Berlin.

Ehmke starb im Alter von 90 Jahren am Sonntag in einem Bonner Krankenhaus. Er war Sozialdemokrat mit einem Makel für manche Genossen: Dem Spross aus gutbürgerlichem Haus fehlte jener Stallgeruch, der in der SPD oft für eine breitere Akzeptanz in der Partei hilft. Der Sohn einer Arztfamilie hatte unter anderem in den USA Politikwissenschaft und Geschichte studiert – was Ende der 40er Jahre keinesfalls die Regel, sondern eher eine Ausnahme war. Seinem Jurastudium in Göttingen folgte 1952 seine Promotion zum Dr. jur. Bereits mit Mitte 30 war Ehmke Professor für Staatsrecht in Freiburg, wurde später mit entsprechendem Rüstzeug ausgestattet Staatssekretär im Bundesjustizministerium, ehe er 1969 an die Spitze des Ministeriums wechselte.

Ehmke, genannt „Hotte“, zählte damals zur „linken Mitte“ in der SPD. Er, der intellektuell Scharfzüngige, war dabei immer auch ein wenig Querdenker und Reformer. Federführend sei er zum Beispiel bei der Reform des Scheidungsrechts gewesen, erinnert sich Ingrid Matthäus-Maier, damals noch auf dem linken Flügel der FDP politisch aktiv. „Wir werden ihn als großen Reformpolitiker der sozialliberalen Koalition in Erinnerung behalten“, sagt sie.

Als Chef des Kanzleramtes baute er die damals noch im Palais Schaumburg untergebrachte Regierungszentrale in großem Stil aus und plante das in der Ära Helmut Schmidt bezogene neue Kanzleramt. Maßgeblich setzte er sich auch für die Umsetzung von Brandts Ostpolitik ein – gegen heftigen Widerstand von CDU und CSU. Mit der Guillaume-Affäre und dem Fall von Brandt als Bundeskanzler endete 1974 auch Ehmkes Zeit im Bundeskabinett, wo er zuletzt Forschungs- und Postminister war.

Als Wortführer der linken Mitte erkannte Ehmke früher als andere in der SPD, dass mit dem Aufkommen der Grünen auch dorthin am besten Kontakte geknüpft werden sollten – man weiß ja nie, was aus einer Anti-Parteien-Partei, als die sich die Grünen damals verstanden, noch werden würde. Ehmke sollte recht behalten. In Bonn fühlte er sich sehr wohl. „Er war ein lustiger Typ, mit dem man sehr viel lachen konnte. Kaum eine Karnevalssitzung ließ er aus“, sagt Hans-Walter Schulten, in den 80er und 90er Jahren Bonner SPD-Chef. Ende der 70er Jahre hatte Brandt vorgeschlagen, dass sich Ehmke in Bonn um ein Bundestagsmandat bewirbt. „Bonn war für die SPD damals Diaspora“, weiß Schulten. Ein zugkräftiger Kandidat musste her. Ehmke machte es. Viermal kandidierte er, doch den Wahlkreis für die SPD zu holen, war ihm nicht vergönnt. Zweimal gewann Bonns OB Hans Daniels. Der sagt über Ehmke: „Ich habe hervorragend mit ihm zusammengearbeitet in den Fragen, die Bonn betrafen.“ Weit vorn auf der NRW-Landesliste abgesichert, kam Ehmke dennoch stets ins Parlament. Was für Bonn Anfang der 90er Jahre wichtig war.

Gemeinsam mit Arbeitsminister Norbert Blüm, seiner neuen Bonner CDU-Wahlkreiskontrahentin Editha Limbach, Rhein-Sieg-Landrat Franz Möller und Matthäus-Maier, inzwischen Sozialdemokratin, bildete er die parteiübergreifende Phalanx jener im Bundestag, die für Bonn kämpften. „Sehr vertrauensvoll“ sei die Zusammenarbeit gewesen, sagt Stephan Eisel, damals CDU-Kreisvorsitzender, „er war ein Mann, mit dem man sich streiten, auf den man sich aber verlassen konnte, wenn man etwas vereinbart hatte.“

Schulten berichtet, dass Ehmke es war, der schon wenige Tage nach dem Umzugsbeschluss ein Zukunftskonzept für Bonn initiierte, auf dessen Grundlage die Ausgleichsverhandlungen mit dem Bund und die Beratungen im Blick auf das Bonn/Berlin-Gesetz geführt wurden. „Dass unsere Stadt heute so glänzend da steht, hat sie gerade auch Horst Ehmke und seinem politischen Einfluss zu verdanken“, sagt der heutige Bonner SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber. Ehmke blieb bis 1994 Mitglied des Bundestages. Danach widmete er sich dem Schreiben. Bevorzugtes Genre: Kriminalromane im politischen Milieu.

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