„Bonn hat so viel, es ist beschaulich und international" Bonnerin ist neue Vorsitzende der NRW-Jusos

Bonn · Jessica Rosenthal ist die erste Frau an der Spitze der Jusos seit mehr als zwei Jahrzehnten. Die 25-jährige Bonnerin lebt seit 2011 in der Bundesstadt.

 Selbstbewusst: Die neue Vorsitzende der NRW-Jusos, Jessica Rosenthal, in der Bonner Heerstraße – der Altstadt, die sie so mag.

Selbstbewusst: Die neue Vorsitzende der NRW-Jusos, Jessica Rosenthal, in der Bonner Heerstraße – der Altstadt, die sie so mag.

Foto: Benjamin Westhoff

Nur eine Woche nach ihrer Wahl zur neuen Juso-Landeschefin in Nordrhein-Westfalen musste Jessica Rosenthal erst einmal den nächsten Tiefschlag für ihre Partei verkraften. Am Samstag, dem Tag vor der Bayernwahl, hatte sie noch gemeinsam mit weiteren Mitgliedern der SPD-Nachwuchsorganisation in der Nähe von München für die Genossen geworben.

Als sie wieder zurück im Rheinland war, erfuhr sie von den desaströsen 9,7 Prozent. „Das ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die dachten, dass die Erneuerung in der großen Koalition gelingen wird“, sagt die 25-jährige Bonnerin. Bundesinnenminister und Horst Seehofer (CSU) müsse zurücktreten. Aber auch sonst dürfe es in Berlin kein „Weiter so“ geben. „Wenn sich fundamental etwas ändert, können wir es weiter versuchen. Sonst müssen wir uns noch in diesem Jahr die Frage stellen, ob die Groko noch das ist, was wir wollen.“

Rosenthal lehnte die Groko von Beginn an ab und warb so vehement wie der Juso-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert auf dem SPD-Sonderparteitag in Bonn für ein „Nein“. Das scheiterte bekanntlich. Aber die Zeit hat sie geprägt. „Von der NoGroko-Bewegung ist das große Versprechen geblieben, dass es anders sein kann, und das auch die SPD anders sein kann“, sagt sie und fügt hinzu: „Und das ist immer noch so, auch wenn man das vielleicht nicht immer sieht.“

Wahldesaster als Ansporn

Das Wahldesaster in Bayern sieht sie nun als Ansporn, noch mehr Kraft und Energie in ihre politische Arbeit zu stecken, um die SPD aus dem Stimmungstief herauszuholen. Druck zu machen, zu nerven, damit inhaltlich etwas passiert – innerparteilich, aber auch im Streit mit den politischen Konkurrenten. Immerhin steht Rosenthal jetzt einem Juso-Landesverband mit rund 18.000 Mitglieder vor – und seit der No-Groko-Kampagne sind die Jusos weitaus präsenter als zuvor.

„Wir reden immer nur über Migration“, ärgert sich Rosenthal. „Wir fangen gar nicht an, über Mieten zu reden, eine Thema, das gerade auch in Bonn überaus wichtig ist. Wir fangen gar nicht an, über den ÖPNV zu reden. Da setzen wir uns für ein Azubi-Ticket ein, damit die Auszubildenden bei der Mobilität den Studenten gleichgestellt werden.“ Rente, Kinderarmut, Arbeit, Digitalisierung, Umwelt, das seien weitere große Themen, zählt sie auf. Im Debattencamp im November in Berlin will die SPD über neue Ideen sprechen.

Rosenthal hat sich schon früh eingemischt. Aufgewachsen ist sie in Niedersachsen, in Bad Münder in der Nähe von Hameln, wo sie sich in den Schulgremien engagierte. Nach dem Abitur 2011 entschied sie sich für ein politisches Jahr und erhielt dafür eine Zusage der Hilfsorganisation Care Deutschland-Luxemburg – so kam sie nach Bonn.

Rosenthal arbeitete an einem Schreibtisch im Bundesviertel und bezog eine Wohngemeinschaft in der Altstadt. „Für mich war sofort klar, dass ich hierbleiben will“, sagt sie. „Bonn hat so viel, es ist beschaulich und international. Außerdem hat es den Karneval und die rheinische Art, die sehr gut zu mir passt“, erzählt sie lachend. Die Altstadt findet sie immer noch einen der schönsten Bereiche der Stadt. Und den Karneval feiert sie längst nicht mehr nur auf der Straße, sondern inzwischen auch als Mitglied der Großen Dransdorfer Karnevalsgesellschaft.

So ist Rosenthal in Bonn heimisch geworden. 2012 begann sie hier Geschichte und Deutsch auf Lehramt zu studieren. Im selben Jahr trat sie, bestärkt durch ihre Arbeit bei Care und dem Wunsch etwas zu verändern, den Jusos bei. „Es bringt nichts, sich nur auf das Sofa zu setzen und zu sagen, es läuft nicht. Man muss sich einmischen und selber mitgestalten, sonst machen das andere für einen. Wir entscheiden gemeinsam, wie wir uns das Morgen vorstellen“, erklärt sie ihre Motivation. 2013 wurde sie auch SPD-Mitglied.

Wieder eine Frau an der Spitze

Nun steht mit ihr erstmals seit 21 Jahren wieder eine Frau an der Spitze der Jusos in NRW. Die damalige Vorsitzende hieß Svenja Schulze – und sie ist heute Bundesumweltministerin. So weit will Rosenthal aber nicht denken. „Politik ist für mich mehr als ein Hobby“, sagt sie, „aber es geht mir auch nicht um den Beruf.“ Sie denke nicht über ihre persönliche Entwicklung in zehn oder 20 Jahren nach. Für sie sei es wichtig, den Posten jetzt auszufüllen und ihrer Verantwortung gerecht zu werden. „In der Politik kann man viel bewegen, deshalb schlägt dafür mein Herz. Das ist das, wofür ich brenne.“

Vor ihrer Wahl war Rosenthal viel im Land unterwegs und diskutierte mit Jusos. Jetzt geht es erst einmal darum, die Arbeit mit ihrem Team zu organisieren. Nach der Landesvorstandsklausur sollen dann konkrete Ideen umgesetzt werden.

Dass sich Widerstand lohnt und gerade in der Demokratie wichtig ist, haben ihr die Proteste gegen das geplante Polizeigesetz gezeigt. Anfang Juli demonstrierte Rosenthal mit Tausenden anderen Menschen in Düsseldorf gegen die Pläne. „Wenn der Druck von der Straße und der NRW-SPD nicht gekommen wäre, wäre da nichts passiert“, sagt sie. Trotzdem sehen die Jusos den Kompromiss weiter kritisch. Auch sonst wollen sie Gegenkonzepte gegen Schwarz-Gelb entwickeln.

Ganz wichtig ist Rosenthal der Wahlkampf für die Europawahl im kommenden Mai. „Das ist nicht irgendein Europa-Wahlkampf, das ist vielleicht der Europa-Wahlkampf.“ Einerseits gelte es, der Kursverschiebung nach rechts alles entgegenzusetzen. Andererseits müsste deutlich gemacht werden, dass Europa weiterentwickelt werden müsse, denn das sei die Zukunft und damit enorm wichtig für die junge Generation.

Ab November wird Rosenthal ihre Zeit für die politische Arbeit allerdings besser einteilen müssen. Sie hat ihr Studium beendet und beginnt dann ihr Referendariat an der Marie Kahle Gesamtschule. Für diese Schulform hat sie sich ganz bewusst entschieden, sagt sie. Sie sei überzeugt, dass es ein gutes System ist, wenn die Kinder und Jugendlichen möglichst lange zusammen lernen.

Darüber, Ehrenamt und Arbeit unter einen Hut zu bekommen, macht sich die 25-Jährige keine Sorgen, das würden Millionen anderer Menschen ja auch schaffen. Trotzdem wird der Frankreich-Fan Treffen mit Freunden, Joggingrunden oder Wanderausflüge künftig besser planen müssen. Eines wird sich aber nicht ändern: Beim Kochen singt Jessica Rosenthal gerne Arbeiterlieder. Momentan sei „Brot und Rosen“ ihr Favorit, weil sie das neu gelernt hat. Aber es gebe viele Lieder, die sie gut finde, weil darin auch immer wieder deutlich werde, „womit das, was wir tun, verbunden ist“ – auch wenn das abgedroschen klinge. Ganz ohne Politik geht es also auch in der Freizeit nicht.

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