Berliner Sicht auf US-Wahl Blindflug über den Atlantik

Berlin · Noch nie hat eine Bundesregierung so wenig über ein US-Staatsoberhaupt gewusst. Außenminister Frank-Walter Steinmeier muss nun mit dem kooperieren, den er im Sommer einen "Hassprediger" nannte.

Es könnte ein so schöner Herbsttag werden. Die Sonne kämpft vor dem Brandenburger Tor auf dem Pariser Platz um Höhe, Touristen machen Schnappschüsse, Abgeordnete gehen gemessenen Schrittes über den Platz zum nahe gelegenen Bundestag. Nur ein Pappkamerad mit der Silhouette Donald Trumps, den ein Fernsehteam für launige Aufnahmen mit plaudernden Touristen ins Bild rücken will, erinnert an das Ereignis, das auch Berlin in Atem hält: die US-Wahl und die Aussicht, es bald mit einem Präsidenten Trump zu tun zu haben.

Aber so wie auf dem Pariser Platz keinem mehr danach ist, über Sprüche oder Frisur zu scherzen, so ist auch ein paar Schritte weiter vor dem Sitzungssaal des Auswärtigen Ausschusses keinem mehr nach Späßen zumute. Gernot Erler, Russlandbeauftragter der Regierung, eilt ernsten Blickes den Gang entlang. „Ein denkwürdiger Tag“, murmelt er. Das sei ein Schock, sagt er, und das sagen die anderen. Wie es weitergeht? „Wer kann’s wissen“, sagt Erler.

Die Kanzlerin hat nicht die Nacht vor dem Fernseher durchgemacht, auch wenn sie dem Ergebnis natürlich wie so viele „mit besonderer Spannung“ entgegengefiebert hat. Das sagt Angela Merkel, als sie exakt zur Mittagszeit Trump zum Sieg gratuliert.

Im Bundeskanzleramt wird an diesem Tag, der einmal als Einschnitt in den Geschichtsbüchern vermerkt sein könnte, Routine zelebriert. Erst die Morgenlage, dann tagt wie jeden Mittwoch das Bundeskabinett. Das Festhalten an normalen Abläufen soll einerseits den nicht völlig aus der Luft gegriffenen Untergangsszenarien etwas entgegensetzen und gleichzeitig Pragmatismus signalisieren gegenüber dem, was sich nun nicht mehr ändern lässt.

"Die Welt dreht sich weiter"

„Die Welt dreht sich weiter“, heißt es dazu in der deutschen Regierungszentrale: „Wir werden das Beste daraus machen müssen.“ Die Rat- und Sprachlosigkeit drückt sich aus in einem kaum drei Minuten dauernden Statement der Kanzlerin. Sie erinnert Trump an die Verantwortung, die er nun trägt, aber auch die Werte, die bisher eines der Fundamente der transatlantischen Partnerschaft gewesen sind und von Trump in einem Wahlkampf mit, so Merkel, „schwer erträglicher Konfrontation“ verbal mit Füßen getreten worden sind.

„Auf der Basis dieser Werte“, sagt die Regierungschefin, „biete ich dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika eine enge Zusammenarbeit an.“ Das soll eine Mahnung sein und Stärke demonstrieren – doch erst einmal ist Berlin ohne Einfluss und muss Kontakte neu aufbauen.

In Berlin gibt man sich jedoch nicht der Illusion hin, das nach erfolgreicher Kontaktaufnahme alles beim Alten sein könnte: Syrien, die Ukraine, all die Krisenherde waren bisher kaum zu entschärfen. Mit einem Präsidenten, der autoritäre Führer und vor allem Putin schätzt, werde die Lage nun völlig unübersichtlich, heißt es.

Hielt man solche Kraftmeiereien bisher für ein vorübergehendes Phänomen, eine Art Grippe, von der sich die USA schon wieder kurieren würden, so weiß man jetzt: das hat kein Spinner gesagt, sondern der künftige Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) muss nun mit jenem Mann kooperieren, den er noch im Sommer einen „Hassprediger“ genannt hat. Natürlich hat auch er auf Clinton gesetzt. Jetzt muss auch er sich im Ton mäßigen, sagt lediglich, dass er „mehr als einmal verstört“ gewesen sei über den Wahlkampfstil, erinnert an Trumps Beschimpfungen Richtung Deutschland. Er wolle „nichts schönreden: Nichts wird einfacher, vieles wird schwieriger werden“. Man müsse sich darauf einstellen, dass die amerikanische Außenpolitik für uns „weniger vorhersehbar sein wird“, sagt der Außenminister.

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