Der Niedergang der FDP Auf der Suche nach dem Rettungsring

BERLIN · Es geht um Zukunft. Und es geht um Existenzen. Die Liberalen brauchen in einer ihrer bittersten Stunden Orientierung und auch einen neuen Chef. Christian Lindner steht bereit.

 Große Aufgabe: Christian Lindner soll als neuer FDP-Chef die Partei aus dem Tal der Tränen führen.

Große Aufgabe: Christian Lindner soll als neuer FDP-Chef die Partei aus dem Tal der Tränen führen.

Foto: dpa

Gerade hat sich Christian Lindner im Großen Protokollsaal auf der Präsidialebene des Bundestages zu Wort gemeldet. Die FDP liegt am Boden. Erstmals in der deutschen Nachkriegsgeschichte werden die Liberalen kein einziges Mandat im neuen, im dann 18. Bundestag haben.

Parteichef Philipp Rösler wie auch Spitzenkandidat Rainer Brüderle werden etwas später von der "bittersten Niederlage, die wir erleben mussten" sprechen. Jetzt sei es "wichtig, klare Zeichen nach draußen und auch in die Partei hinein" zu senden, sagt Brüderle. Und Rösler, der einmal gesagt hat, mit spätestens 45 Jahren sei für ihn in der Berufspolitik Schluss, sendet ein solches Signal. Er zieht persönlich Konsequenzen.

"Ich werde mein Amt als Parteivorsitzender selbstverständlich zur Verfügung stellen", sagt der FDP-Chef. Rösler, immerhin Vize-Kanzler der schwarz-gelben Regierung, geht vor der Zeit: Er ist jetzt 40 Jahre alt.

An dieser Stelle der Debatte im Saal, von der draußen FDP-Mitarbeiter fast schon wütend erzählen, "die da drinnen brauchen wohl noch etwas Zeit, um zu verstehen, was sie da angerichtet haben", kommt der nordrhein-westfälische FDP-Landeschef Lindner ins Spiel. Lindner meldet seinen Anspruch auf den Chefposten der FDP an. Sollte Rösler jemals vorgehabt haben, eventuell bis zum nächsten Bundesparteitag, der nun vorgezogen werden soll, auf Zeit zu spielen, hat ihm Lindner damit den Weg abgeschnitten.

[kein Linktext vorhanden]Rösler geht, weil er nach einer derart desaströsen Niederlage gehen muss. Lindner ist der Mann der Zukunft, weil er in einer Stunde, in der ein Neuanfang unausweichlich ist, den Anspruch auf das Führungsamt erhebt. Er versieht diesen Anspruch mit dem Hinweis, dass er es bereits in NRW geschafft habe, die FDP "in aussichtsloser Lage" in den Landtag zurückzuführen.

Gefragt ist jetzt ein Parteichef, der auch den Rettungsring werfen kann. Brüderle sagt auf Nachfrage, er halte "außerordentlich viel" von Lindner. "Ich schätze ihn und ich mag ihn." Rösler verliert auf die Frage, die auch an ihn gerichtet ist, kein Wort über Lindner. Daniel Bahr, der noch Gesundheitsminister ist, sagt über Lindner, er setze "viel Vertrauen und Hoffnung in ihn. Er kann das. Er hat das bewiesen."

Was die Vorderen in der FDP-Bundestagsfraktion jetzt vor allem können und beweisen müssen: dass sie sich um ihre Mitarbeiter kümmern, die mit dem politischen Aus für die FDP auch ihre Jobs in der Bundestagsfraktion, in den Abgeordneten- und Wahlkreisbüros verlieren. Der Vertraute eines FDP-Ministers erzählt, für viele "bricht jetzt privat, beruflich, politisch und ideologisch eine Welt zusammen". Fraktionsmitarbeiter versammeln sich später im Walther-Rathenau-Saal des Reichstagsgebäudes. Simon Obert, Mitarbeiter der niedersächsischen FDP-Abgeordneten Angelika Brunkhorst, hofft jetzt, wieder in der Unionsfraktion unterzukommen, wo er auch hergekommen ist. Vielleicht geht er aber auch in die Wirtschaft.

Eine Kollegin ringt um Fassung: "Ich kann jetzt nichts sagen. Ich bin einfach nur geschockt." FDP-Wehrexpertin Elke Hoff, die ohnehin aus dem Bundestag ausgeschieden wäre, erzählt: "Bis auf eine Halbtagskraft habe ich alle Mitarbeiter in Lohn und Brot. Ich habe mich rechtzeitig darum gekümmert."

[kein Linktext vorhanden]Dann ist Hoff wieder bei der Zukunft der FDP. Sie sagt: "Der Mensch wächst mit der Niederlage." Es dürfe jetzt nicht um Regional- oder Landesproporz gehen. Der mögliche neue FDP-Vorsitzende Lindner "muss sich jetzt sein Team zusammenstellen". Genau das will der NRW-Landeschef auch tun. Mit wem genau, das lässt sich Lindner in den Minuten des angekündigten Neuanfangs nicht entlocken. Schleswig-Holsteins Fraktionschef Wolfgang Kubicki wird als künftiger Generalsekretär gehandelt, nachdem auch Patrick Döring seinen Posten zur Verfügung gestellt hat.

Großes Stühlerücken. Lindner spricht von einer "historischen Zäsur", nach der es "kein 'Weiter so'" geben könne. Jetzt sei die "Zeit der kritischen Selbstüberprüfung". Es gehe um eine "sichtbare, für jeden wahrnehmbare Erneuerung". Wie hatte Noch-Parteichef Rösler kurz zuvor gesagt? "Wir wissen, dass wir ganz bewusst abgewählt worden sind." Lindner startet seine Mission Neuaufbau. Er will der FDP "den Respekt zurückgeben". Spätestens 2017 will er liefern: mit dem Wiedereinzug in den Bundestag.

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