Flughafen Berlin Auf der Spur einer (fast) unendlichen Geschichte

BERLIN · Heute vor zehn Jahren erfolgte der Spatenstich zum größten Verkehrsinfrastruktur-Projekt Europas. Dann folgten Kostenexplosionen, Planungsfehler, Schuldzuweisungen und immer neue Eröffnungstermine.

 5. September 2006: Den Spatenstich für den neuen Berliner Flughafen (BER) vollziehen (von links) BER-Geschäftsführer Rainer Schwarz, Bahnchef Hartmut Mehdorn, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD). Von den Airport-Protagonisten von einst ist heute niemand mehr im Amt.

5. September 2006: Den Spatenstich für den neuen Berliner Flughafen (BER) vollziehen (von links) BER-Geschäftsführer Rainer Schwarz, Bahnchef Hartmut Mehdorn, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD). Von den Airport-Protagonisten von einst ist heute niemand mehr im Amt.

Foto: dpa

Harald Grunert wartet jetzt seit 1555 Tagen auf das erste Kölsch. Das kann verdammt durstig machen. Erst recht auf einem Flughafen, der nicht fertig wird. Vor 222 Wochen wollten Grunert, Kompagnon Friedel Drautzburg und deren Lizenzpartner, die Wöllhaf GastroService Berlin Airport GmbH, die Ständige Vertretung auf dem "Marktplatz" im Abflugbereich des Großflughafens Berlin Brandenburg BER "Willy Brandt" eröffnen. Und mit Kölsch darauf anstoßen.

Doch die "StäV" durfte nicht starten, weil auch der Flughafen keine Starterlaubnis erhielt. Probleme mit dem Brandschutz. Der BER befindet sich zu 100 Prozent auf dem Boden des Landes Brandenburg und damit deutlich außerhalb des Wirkungsbereichs des Rheinischen Grundgesetzes.

"Et hätt noch immer joot jejange" gilt nicht für BER

Und so ist es dann auch. Der Großflughafen Berlin Brandenburg ist auch vier (!) Jahre nach dem großen Schrei, als der damalige Flughafen-Manager Rainer Schwarz wenige Tage vor dem für 3. Juni 2012 avisierten Starttermin einen planerischen Offenbarungseid leisten musste, weiter ein Problem-Flughafen.

Dabei hatte Schwarz noch wenige Wochen vor dem groß angekündigten Eröffnungstermin Journalisten über die Baustelle geführt und dabei den Eindruck erweckt, der Landkreis Dahme-Spreewald als Genehmigungsbehörde versage der Flughafengesellschaft die Starterlaubnis.

Annähernd 50 Tage Testbetrieb mit rund 10.000 Komparsen, die fingierte Flüge in alle Welt antraten, dabei Gepäck auf die Förderbänder wuchteten und die Funktionsfähigkeit des Flughafens am Boden prüften, waren vergebens.

Dabei hatte die Flughafengesellschaft ein Chaos, wie es die Flugwelt 2008 bei und nach der Eröffnung von Terminal 5 am Flughafen London-Heathrow erleben musste, unbedingt vermeiden wollen. Doch es kam noch viel schlimmer. Die Länder Berlin und Brandenburg sowie der Bund als Anteilseigner mussten die Pleite mitverantworten und waren bis auf die Knochen blamiert, weil sie eingestehen mussten: Wir können Flughafen nicht.

Grünes Licht gibt's bis heute nicht

Großformatige Fotos von Namenspatron Willy Brandt, die Gastronom Grunert in der Airport- "StäV" aufhängen wollte, sind also weiter eingemottet. Sämtliche Gastro-Betriebe, die ihre Küchen und Zapfanlagen schon fix und fertig für den Starttermin hatten, und alle Handelsläden auf dem Flughafen mussten schließen, bevor sie überhaupt eröffnen hatten. Teilweise mussten Shops komplett "zurückgebaut" werden, wie Wöllhaf-Geschäftsführer Jörg Rösemeier erzählt.

Zwischen der Flughafengesellschaft und den Pächtern, die auf ein gutes Geschäft gehofft hatten, wurden "Vereinbarungen" getroffen und über deren Inhalte Schweigegelübde verabredet. Komplette Ladeneinrichtungen seien seither in einem Hangar des Flughafens eingelagert. "Kommen wird er. Nur wann und wie, wird sich zeigen", sagt Rösemeier.

Am BER sind weiter Revisionsdecken abgehängt, werden kilometerweise neue Kabel verlegt, stehen Gerüste und schwitzen Handwerker, Techniker und Ingenieure. Nach dem 30. Oktober 2011, dem 3. Juni 2012, dem 17. März 2013 hat Flughafenchef Karsten Mühlenfeld nun die zweite Jahreshälfte 2017 als Eröffnungstermin ins Gespräch gebracht.

Daran will Mühlenfeld, der nach den glücklosen Rainer Schwarz und Hartmut Mehdorn nun als dritter Flughafenmanager den Airport an den Start bringen soll, unbedingt festhalten.

Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen

Doch begründeter Optimismus hört sich anders an. "Niemand kann heute eine Garantie abgeben, dass es mit der Eröffnung 2017 klappt. Aber wir haben eine Chance", versuchte sich erst unlängst wieder Berlins Flughafenkoordinator Engelbert Lütke Daldrup als Mutmacher.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, der zugleich Aufsichtsratschef ist und bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus am 18. September erstmals im Amt bestätigt werden will, baut schon für einen späteren Eröffnungstermin vor. "Nach heutigem Stand kann ich nicht mehr ausschließen, dass wir mit der Eröffnung im Jahr 2018 landen."

Das war im Mai dieses Jahres, als der Landrat des Landkreises Dahme-Spreewald, Stephan Loge (SPD), erklärte, für einen Teil des Umbaus der Entrauchungsanlage könne seine Aufsicht führende Behörde auch Ende Mai keine Genehmigung erteilen.

Auch 2018 ist ein Jahr mit zwölf Monaten. Müller könnte also auch das vierte Quartal gemeint haben. Und danach kommt 2019. Wer weiß das schon auf einer Baustelle wie dem BER. Schließlich sagte auch Müller, bezogen auf eine Eröffnung 2017: "Es wird von Tag zu Tag schwieriger." Wenn wichtige Unterlagen für den Brandschutz, darunter die Schnittstelle vom Terminal zum unterirdischen Bahnhof, "demnächst" komplett eingereicht sein sollen, steht damit immer noch eine Genehmigung aus. Dies könne bis zu eineinhalb Jahren dauern.

Absurd ist eigentlich gar kein Ausdruck

Ein Samstag Ende August. Die Sonne brennt mit gnadenlosen 38 Grad über das Flughafenareal. Fahrt mit dem Bus über die Jürgen-Schumann-Allee, benannt nach jenem Flugkapitän, den die Entführer der Lufthansa-Maschine "Landshut" im Oktober 1977 in Aden/Jemen erschossen haben. Vorbei am Flughafen Berlin-Schönefeld.

Und vorbei an jenem Teil des Areals, auf dem später, zunächst als Provisorium, der Regierungsflughafen gebaut werden soll. Aber erst einmal müsste der BER überhaupt starten. Auf der Baustelle keine Arbeiter, nur Sicherheitspersonal, die die Baustelle bewachen. An Wochenenden wird auf dem Problem-Flughafen nicht gearbeitet, als kostete jeder Tag Stillstand kein Geld.

Jeden Monat, den der Flughafen nicht eröffnet, so halten es etwa die oppositionellen Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus dem SPD/CDU-Senat vor, kostet die Steuerzahler nach Angaben der Flughafengesellschaft 17 Millionen Euro extra. Wohl gemerkt: Das sind nur die reinen Kosten für den Stillstand. Dass der BER auch 1555 Tage nach seiner fest geplanten Eröffnung am 3. Juni 2012 immer ein Problemfall für Berliner, Brandenburger wie auch für alle Steuerzahler ist, halten die Grünen für ein "Desaster".

Am 5. September 2006, heute vor zehn Jahren, griffen der frühere "Regierende" Klaus Wowereit (SPD), der damalige Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und der damalige Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD) munter zu ihren Schaufeln für den ersten Spatenstich. Ebenso der damalige Flughafen-Manager Schwarz und ehemalige Bahn-Chef Hartmut Mehdorn. Alle fünf haben heute etwas gemeinsam: Keiner von ihnen ist mehr im Amt. Den Karren auf der Großbaustelle müssen andere aus dem Dreck ziehen.

Der Stillstand trifft den Flughafen derart, dass die Bahn Loks durch den Tunnel unter dem Flughafen fahren lässt, damit der Tunnel wenigstens durch den Fahrtwind belüftet wird. Es fährt ein Zug geradezu ins Nirgendwo. Geisterfahrten eben. Jede Fahrt ist eine Maßnahme gegen den Schimmel. Und die Berliner S-Bahn bildet mit Fahrten zu dem seit Jahren außer Plan angesteuerten Flughafenbahnhof ihre Lokführer für Tunnelfahrten aus. Eine echte Posse. Nicht Provinz, sondern Hauptstadt-Provinz.

Eine schlechtere Visitenkarte für eine hoch industrialisierte Volkswirtschaft im 4.0-Hochtechnologieland Deutschland könnten Berlin, Brandenburg und der Bund kaum abgeben. Peinlich gerade in einem Bundesland wie Berlin mit mehr als 60 Milliarden Euro Schulden. Eigentlich ist Berlin pleite, aber nein, doch sehr sexy. Der Steuerzahler zahlt und zahlt.

Nach Angaben der Landes-Grünen, die demnächst gerne in Berlin mitregieren würden, sind bislang 6,5 Milliarden Euro eingeplant. Ursprünglich sollte der neue Großflughafen 1,7 Milliarden Euro (Stand 2004) kosten. Das Projekt marschiert damit in Richtung einer Verteuerung um 400 Prozent.

Getreu dem Motto: "Bin ick nich für zuständig. Kolleje kommt gleich."

Über so viel Murks auf der Großbaustelle BER können auch die Mitglieder des Handwerkerstammtischs aus der Altmark in der Nähe von Stendal nur den Kopfschütteln. Die Herren sind mit ihren Frauen für ein Wochenende in die Hauptstadt gereist und haben zur Abwechslung vom eigenen Handwerkeralltag eine Führung über einen Flughafen gebucht, der das neue Berlin verkörpern soll und irgendwie doch für einen Planungsmief aus dem vergangenen Jahrhundert steht.

Während die Dame aus der Marketing-Abteilung der Flughafengesellschaft das repräsentative Interieur in der Eingangshalle betont, wo eine ganze Jahresproduktion heller Juramarmor aus dem Altmühltal verlegt ist und 33 000 Quadratmeter Glas verbaut sind, blickt man auf die Tafeln mit den elektronischen Anzeigen für die Abflüge; sie sind Standby geschaltet. Keine Flugbewegungen auch an diesem Samstag.

Die Urlaubsflieger starten nebenan von Schönefeld nach Mallorca oder Teneriffa. Acht Check-In-Inseln mit 96 Schaltern warten weiter auf den ersten echten Abflug. Und das kann noch dauern. "Dit kann doch nich wahr sein, und dit in unserem Land, nich Afrika, wa?", staunt einer der Handwerker aus der Altmark. "Zu lange Genehmigungswege", meint ein anderer. "Woanders jeht et schneller."

Doch Brandschutz auf deutschen Flughäfen ist spätestens nach dem Großbrand auf dem Flughafen Düsseldorf 1996 mit 17 Toten ein noch schwierigeres Thema als es ohnehin schon war. Und Landrat Loge ist nicht bereit, Kompromisse einzugehen, nur damit Berlin und Brandenburg sagen können: Wir haben einen Großflughafen.

Wie ein Hütchenspieler mit drei Flughäfen

Der große Tag X, an dem der Problem-BER tatsächlich eröffnet, wird kommen. Darauf hoffen unter anderem die Anwohner in Tegel, wo manche Immobilien-Käufer, aber auch Ur-Tegeler einen bösen Traum erlebten, hatten sie sich doch alle schon auf ein Leben im Berliner Norden ohne Fluglärm eingestellt.

Doch seit Mitte 2012 muss der schnell erreichbare Stadtflughafen Tegel noch mehr Flüge und Passagiere abwickeln als zuvor. Tegel - klein, praktisch, gut. "Tegel, ick liebe Dir", schwärmen viele Berliner. Unter anderem der FDP-Spitzenkandidat im laufenden Berliner Landtagswahlkampf, Sebastian Czaja, tritt dafür ein, Tegel offenzuhalten, auch wenn der BER in naher oder mittlerer Zukunft eröffnet haben sollte. Tegel sei beliebt und könnte den schon jetzt als zu klein konzipierten BER entlasten. Czaja: "Es ist zudem falsch, dass eine Schließung Tegels rechtlich unabwendbar sei."

Hipster-Berlin ist gefragt dort draußen in der Welt. Im Juli schafften die Flughäfen Schönefeld und Tegel erstmals mehr als drei Millionen Passagiere in einem Monat. Der neue Flughafen Berlin Brandenburg, einst für 27 Millionen Passagiere im Jahr ausgelegt, ist schon jetzt zu klein und wird auch erweitert.

Bereits heute meldet Berlin rund 31 Millionen Fluggäste pro Jahr, die Nummer drei in Deutschland hinter Frankfurt/Main und München. In Europa aktuell die Nummer 14. Der BER kann je nach Passagierentwicklung für bis zu 45 Millionen Fluggäste ausgebaut werden. Aber dazu müsste er auch erst einmal in Betrieb gehen.

Selten hat ein Kölsch so lange gedauert

Berlin war stolz auf seinen Eisbär Knut im Berliner Zoo. Seit zu langer Zeit hat die Stadt mit ihren 3,5 Millionen Einwohnern, die bis 2030 auf etwa vier Millionen Einwohner anwachsen soll, auch einen Flughafen, auf dem nicht abgeflogen oder gelandet wird. Auch das ist ein Alleinstellungsmerkmal.

Der BER ist eine Stadt für sich: Rund 1470 Hektar groß, was der Fläche von rund 2000 Fußballfeldern entspricht. Zwei Landebahnen mit nun 3600 Metern (Nord) und 4000 Metern Länge (Süd). Eigene Feuerwehr, eigenes Kraftwerk, eigener unterirdischer Bahnhof, geplanter Airport-Express. Ein Gebetsraum für christliche Konfessionen sowie einen zweiten mit überkonfessioneller Ausrichtung. Ein Vier-Sterne-Hotel einer großen Kette wartet in Steinwurfnähe von Ankunft- und Abflugebene auf Gäste. Komplett eingerichtet, auch dies seit vier Jahren. Doch ohne Starterlaubnis keine Flieger. Und ohne Flieger auch keine Passagiere, Hotelgäste und Airport-Konferenzen.

Doch irgendwann will Harald Grunert sein "StäV"-Konzept auch am BER verwirklicht sehen. Und dort das erste Kölsch gezapft und verkauft haben. 180 Sitzplätze auf 275 Quadratmetern. Der BER, Tor zur Welt, auch nach Köln/Bonn. Vom Foto an der Wand grüßt Willy Brandt. Und auch die Handwerker aus der Altmark wollen zurückkommen und sich ansehen, was "Regierender" Müller, Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und Flughafen-Manager Mühlenfeld geschafft haben.

Vielleicht gilt dann - zumindest für den Eröffnungstag - doch noch das Rheinische Grundgesetz, Artikel drei auch am BER: "Et hätt noch immer joot jejange." Allerdings müssten Brandenburger und Berliner auch Artikel fünf verinnerlichen: "Et bliev nix wie et wor."

Sei offen für Neuerungen. Zum Beispiel für einen Flughafen, der funktioniert.

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