Hoffen auf den Endspurt Auf Wahlkampftour mit SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz

Mit Martin Schulz auf Sommerreise: Wie der SPD-Kanzlerkandidat Angela Merkel schlagen will.

 Der SPD- Kandidat in der Barockkirche von Kösching.

Der SPD- Kandidat in der Barockkirche von Kösching.

Foto: dpa

Noch 74 Tage bis zur Bundestagswahl. Und jetzt ist für Martin Schulz plötzlich eine Reise zum Mond möglich. Die Erde von oben sehen, dem ganzen Trubel da unten entrinnen, vielleicht ist das für einen Moment eine Versuchung, hier in den Räumen von „Time in the box“ in München, das als Start-up eine Art Zeitmaschine konzipiert hat. Aber der SPD-Kanzlerkandidat bleibt lieber da, wo er ist: auf dem Boden. Schulz hat sich für eine Woche zu einer Sommerreise durch die Republik aufgemacht. Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hamburg.

Auf Teil eins in Bayern steht Schulz gerade bei „Time in the box“ auf dem Gelände des Münchner Technologiezentrums. Wer will, könnte jetzt mit der Tram über den Stachus fahren – in etwa um die Zeit des frühen 20. Jahrhunderts. Schulz könnte auch auf einem Pilotenstuhl mit Joystick Platz nehmen und den Mond Rover, den die Besatzung von Apollo 17 hinterlassen hat, virtuell über die Mondoberfläche steuern. Schulz setzt sich selbstverständlich nicht auf den Stuhl, denn die Schlagzeilen, die solche Bilder produzieren könnten, kann er sich denken: „Schulz auf dem Weg zum Mond“. Das kann kein irdischer Kanzlerkandidat brauchen, der einen doch beträchtlichen Umfragerückstand auf eine immer noch recht beliebte Bundeskanzlerin aufholen will.

Der SPD-Kanzlerkandidat wird später beim Besuch der Münchner Stadtwerke sagen, Umfragen seien, wenn sie schlecht seien, nicht schön, aber sie blieben Umfragen. Abgerechnet wird zum Schluss: am 24. September, dem Tag der Bundestagswahl. Schulz setzt vor allem auf die drei Wochen nach dem Fernsehduell mit Angela Merkel am 3. September. Dann geht es raus aus dem Fernsehstudio und aus wohl temperierten Räumen – raus ins Leben, auf die Marktplätze. Und Schulz glaubt, dass er hier Boden gut machen kann.

Der SPD-Chef ist in diesen Tagen nach den Gewaltexzessen beim G20-Gipfel in Hamburg selbst immer noch damit beschäftigt, zu verstehen und zu erklären, wie es zu den Ausbrüchen kommen konnte. Ob bei Audi in Ingolstadt, wo an ihm Fahrzeuge des Modells A3 vorbeirollen, oder bei einem Feuerwehrfest in Kösching oder in München, Schulz spricht von „gewaltbereiten, fast an Terrorismus grenzenden Exzessen“, von „gewaltbereiten Idioten“ oder sich „links nennenden Extremisten“. Jetzt seien „keine parteitaktischen Scharmützel“ gefragt, sondern Maßnahmen, dass sich solche Gewaltausbrüche möglichst nicht wiederholten, beispielsweise durch ein europäisches Register von Linksextremisten. Und bitte, Gipfel wie der G20 sollten künftig besser „in der Nähe der Vereinten Nationen stattfinden“.

Und natürlich muss er irgendwann jene Frau angreifen, die er bei der Bundestagswahl im Kanzleramt ablösen will. Angela Merkel solle aufhören, „Minimalkompromisse“, die sie beim G20-Gipfel mit Donald Trump, Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan erreicht habe, als Erfolg zu verkaufen. Da klatschen die Abgeordneten und Mitarbeiter der Münchner SPD-Stadtratsfraktion, zu deren Sommerfest er in die Orangerie von Schloss Nymphenburg gekommen ist. Er sagt: „Ich bin einer von Euch.“ Und: „Die Kommunalpolitik ist der Ernstfall der Politik.“ Das kommt an bei den Stadtverordneten der Münchner SPD.

Schulz ist Schulz. Er will sich nicht verstellen. Er ist der Mann aus Würselen, Polizistensohn, in jungen Jahren, nachdem der Traum vom Fußballprofi nach einer Verletzung geplatzt ist, auf die schiefe Bahn geraten, mit 31 Jahren Bürgermeister geworden, rheinischer Singsang, fünf Fremdsprachen, kann überall zu jedem Thema reden. Er will Bundeskanzler werden, seit er am 29. Januar seine Kanzlerkandidatur für die SPD angekündigt hat. Kurzfristig stieg die SPD mit Kandidat Schulz auf lange nicht mehr gekannte Höhen von 31 und 32 Prozent, teilweise lag der 61-Jährige damit vor Merkel. Inzwischen aber, nach drei verlorenen Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und – für die SPD ganz bitter – in Nordrhein-Westfalen, muss der Kandidat einen erkennbaren Rückstand auf die Amtsinhaberin aufholen. Er hat es schwer, er will einfach weiter kämpfen.

Zum Auftakt seiner Sommerreise vor den ganz harten Wahlkampfwochen plädiert er bei Audi in Ingolstadt für Transparenz. Grenzwerte müssten nun mal eingehalten werden. „Liebe Leute, Ihr müsst, wenn Fehler gemacht worden sind, dazu stehen“, mahnt Schulz die Verantwortlichen bei Audi. „Der Diesel wird noch eine gewisse Zeit bleiben“, sagt der Kandidat. Doch auch mit sauberen Motoren werde Deutschland ein starker Automobilstandort bleiben. Also auf in die Zukunft.

Wohin die automobile Zukunft fährt, bekommt Schulz später in München in einer halben Stunde von Laurin Hahn erklärt. Der 23-Jährige hat mit einem Freund in einer Garage an einer neuen Generation Automobil gebastelt und vor vier Jahren das Start-up „Sono Motors“ gegründet: ein Elektroauto mit in der Karosserie integrierten Solarmodulen. Das Auto lädt sich teilweise selbst wieder auf. Es soll ein E-Auto für Normalverbraucher werden: 16.000 Euro teuer, 250 Kilometer Reichweite und mit einem natürlichen Luftfilter aus Moos. Schulz ist begeistert: „Toll“. Vor allem das Moos. „Das darf ich meiner Frau gar nicht zeigen, die würd‘ dat Ding sofort kaufen.“ Schulz‘ Frau ist Landschafts- und Gartenbauarchitektin.

Der SPD-Kanzlerkandidat will in diesem Langstreckenlauf nicht aufgeben, die Lücke zu Merkel schließen – auf den letzten Kilometern. Seine Hoffnung: 60 Prozent der Wählerinnen und Wähler sagten, das Rennen sei „noch offen“, ein Drittel habe sich „noch gar nicht entschieden“. Er muss daran glauben. Er ist der Herausforderer.

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