Angela Merkel und Horst Seehofer Asyl-Streit geht in entscheidendes Wochenende

BERLIN · Einmal noch Luft holen. Vielleicht wenigstens ein Samstagvormittag ohne Termine. Aber dann geht es los – für Angela Merkel und Horst Seehofer. Hinein in ein für beide entscheidendes Wochenende.

Geht er, bleibt er, wagt er es? Bleibt sie, steht sie, ist sie standhaft, wenn er, der Bundesinnenminister, sie, die Regierungschefin, tatsächlich zu einer Entscheidung zwingen sollte?

Wirkungsgleich. Ein sperriges Wort. Seehofer hat es in den vergangenen Tagen wieder und wieder benutzt. In diesem Fall ist es eine Vokabel mit Wirkung. Womöglich sogar mit beachtlicher Wucht. Das Duell zwischen Merkel und Seehofer, Vorsitzende zweier Schwesterparteien, geht in die High-Noon-Phase: gewissermaßen 12 Uhr mittags.

Doch vorher werden sich Merkel und Seehofer noch einmal in die Augen sehen. An diesem Samstag, so die Verabredung, wollen sie bei einem persönlichen Treffen im Kanzleramt ihre Argumente auf den Tisch legen. Reichen Seehofer dann die Ergebnisse, die Merkel aus Brüssel mit nach Berlin gebracht hat?

Bringen sie aus seiner Sicht jene wirkungsgleichen Konsequenzen, als würde Seehofer – wie von ihm beabsichtigt – all jene Asylbewerber an der deutschen Grenze zurückweisen, die schon in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben?

Notfalls womöglich sogar gegen die Weisung der Kanzlerin, die ihn dann wohl entlassen müsste. Mit allen Folgen. Die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU stünde in einem solchen Fall auf dem Spiel, auch wenn zuletzt auch in Reihen der CSU abgerüstet wurde.

"Verantwortungslose Verrücktheit"

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), sagte unserer Redaktion: „Ich sehe, dass diese verantwortungslose Verrücktheit, diese Fraktionsgemeinschaft, die eine Erfolgsgeschichte ist, in Frage zu stellen, auch bei der CSU einer besseren Einsicht weicht.“ Und auch Seehofer versicherte dieser Tage in der ARD-Sendung „Maischberger“: „Wir wollen die Fraktionsgemeinschaft zusammenhalten.“

Merkel und Seehofer – das ist spätestens seit September 2015 die Geschichte der Vorsitzenden zweier Schwesterparteien, die aus politischen Verwandten zu erbitterten Gegnern wurden. Szenen einer Polit-Ehe. Großer Familienkrach.

Seehofer hat Merkel nie verziehen, dass sie ohne sein Votum letztlich das Zeichen gab, Anfang September 2015 Zehntausende Flüchtlinge aus Ungarn nach Bayern einreisen zu lassen. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch: Wo Seehofer in jener September-Nacht war, in der Merkel ihn zu erreichen versuchte, ist bis heute nicht öffentlich bekannt geworden. Ein bayerischer Ministerpräsident bei einer Frage solcher Relevanz von nichts und niemandem erreichbar – rätselhaft.

Seehofer hat mit harter Münze zurückgezahlt. Er genoss es regelrecht, die Bundeskanzlerin auf der offenen Bühne des CSU-Parteitages im November 2015 zu düpieren. Im Dezember 2016 setzte er einen weiteren von vielen Nadelstichen: Seehofer blieb dem CDU-Bundesparteitag in Essen fern.

Ein Affront und Zeichen eines großen Grabens zwischen Merkel und ihm. In dieser Woche bei der Regierungserklärung Merkels zur Flüchtlingspolitik im Bundestag fehlte Seehofer demonstrativ. Ausgerechnet er, der Innenminister, den dieses Thema mehr als jedes andere Kabinettsmitglied angeht.

Nach vorne geprescht

Dabei hat Seehofer einen Streit vom Zaun gebrochen, da war diese neue Bundesregierung noch keine 100 Tage im Amt. Seehofer ist mit seinem Plan, bestimmte Flüchtlinge an der deutschen Grenze abzuweisen, sehr weit nach vorne geprescht.

Es hat in diesen Tagen immer wieder den Anschein, als wäre Seehofer bereit, sich zu opfern. Also den Rubikon überschreiten und die Bundespolizei anweisen, bestimmte Asylbewerber an der Grenze abzuweisen. Die Frage dahinter: Ist der CSU-Chef nicht längst selbst ein Getriebener, dem sein Nachfolger als Ministerpräsident in Bayern, Markus Söder, und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt permanent Druck machen? Wie also kann man diese Krise eskalieren – oder deeskalieren?

Merkel kämpft in Brüssel um ihr Amt. Die Kanzlerin bringt von dort Ergebnisse mit nach Hause, die Dobrindt prompt so liest, „dass zur Vermeidung von Sekundärmigration das Ergreifen von nationalen Maßnahmen ausdrücklich im Ratspapier vorgesehen ist.“ Merkel dagegen betont in Brüssel, sie wolle „keine unilateralen Schritte“, also keine nationalen Alleingänge. Ansonsten wolle sie den Gesprächen mit den Koalitionspartnern CSU und SPD wie auch mit ihrer eigenen Partei nicht vorgreifen.

Truppen sammeln

Friede ist in der Union deswegen noch lange nicht ausgebrochen. Angeblich soll die CSU am Freitag versucht haben, in Reihen der CDU Mitstreiter zu finden, die bereit wären, das Ergebnis des EU-Rates öffentlich schlecht zu reden. Ohne Erfolg. Die Duellanten und deren Adjutanten sammeln ihre Truppen. Natürlich, in Bayern steht am 14. Oktober eine Landtagswahl an, bei der die CSU um ihre absolute Mehrheit bangen muss.

Merkel hat in Brüssel bis zur Erschöpfung gearbeitet, sogar eine Änderung des deutschen Asylrechts angekündigt – mit schnelleren Verfahren, wenn ein Asylbewerber vorher schon in einem sicheren EU-Staat war.

Der Druck ist hoch. Merkel wie Seehofer spielen mit hohem Einsatz. Es geht um Ursache und ihre Wirkung. Und um Wirkungsgleichheit. Eine Einschätzung will Merkel dann noch geben, bevor sie mit Seehofer die Menge an Gemeinsamkeit auslotet.

Vielleicht ist es auch nur eine Restmenge: „Wenn wir alles umsetzen, was wir hier beschlossen haben, dann ist das mehr als wirkungsgleich. Dann ist das ein substanzieller Fortschritt.“ Seehofer kann es nun darauf anlegen: Ob er den Bruch wagt oder zumindest vorübergehend Frieden in der Koalition will. Merkel ahnt: Für Streit gibt es bei der CSU keine Obergrenze.

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