Deutsch-türkisches Verhältnis Antideutsche Töne aus Ankara

Istanbul · Die Regierung Erdogan bezichtigt Berlin und den Westen, den Wahlkampf zu beeinflussen.

 Spielt im Wahlkampf die antideutsche Karte: Präsident Erdogan.

Spielt im Wahlkampf die antideutsche Karte: Präsident Erdogan.

Foto: dpa

Terroristen-Show, Heuchelei, Komplott: Vier Wochen vor der Parlaments- und Präsidentschaftswahl in der Türkei prangert die Regierung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mit diesen Etiketten angebliche Einmischungsversuche Deutschlands an. Erdogan und seine Anhänger werfen der Bundesrepublik vor, die Regierung in Ankara von der Macht verdrängen zu wollen.

Die Kritik entzündet sich daran, dass die deutschen Behörden am Wochenende eine Kundgebung der Kurdenpartei HDP in Köln erlaubt hatten, während Wahlveranstaltungen der Regierungspartei AKP verboten werden. Aber auch die Verantwortung für den jüngsten Kursverfall der Lira wird dem Westen angelastet. Von dem viel beschworenen Neuanfang in den Beziehungen ist keine Rede mehr.

Das Verbot ausländischer Wahlkampfveranstaltungen in Deutschland und anderen EU-Staaten hatte Erdogan dazu gezwungen, für seine Begegnung mit türkischen Auslandswählern in die bosnische Hauptstadt Sarajewo auszuweichen. Der Präsident und seine Minister werfen den deutschen Behörden Heuchelei vor, weil aus der Bundesrepublik immer wieder Kundgebungen türkischer Oppositionsparteien gemeldet werden. Ankara sieht darin eine Parteinahme für die Erdogan-Gegner, weil die AKP daran gehindert werde, bei den rund 1,5 Millionen türkischen Wählern in Deutschland um Unterstützung zu werben.

Jüngstes Beispiel war eine Veranstaltung zur Unterstützung der Kurdenpartei HDP in Köln am Samstag. Obwohl die HDP eine „Frontorganisation“ der verbotenen kurdischen Terrororganisation PKK sei, dürfe die Partei in Deutschland um Stimmen werben, sagte Erdogan. „Der AKP geben sie keinen Saal“, fügte er hinzu. Deutschland denke offenbar: „Je mehr wir sie behindern, desto besser für uns.“

In Köln demonstrierten mehrere Hundert Kurden

In Köln hatten am Samstag mehrere Hundert Kurden gegen den türkischen Militäreinsatz im syrischen Afrin protestiert. Die Kölner Polizei untersagte wegen des Verbots ausländischer Wahlkampfveranstaltungen allerdings den Auftritt von HDP-Politikern bei der Kundgebung, wie der WDR meldete. EU-Minister Ömer Celik sprach dennoch von einer „Terroristen-Show“, die den gemeinsamen Werten im Kampf gegen den Terrorismus widerspreche. Das Außenministerium warf Berlin „Heuchelei“ vor.

Weitere Kundgebungen für die HDP in Deutschland seien geplant, schrieb der AKP-Politiker Mustafa Yeneroglu auf Twitter: „In Zusammenarbeit mit der offiziell verbotenen Terrororganisation PKK laufen die offiziell verbotenen Wahlkampfkundgebungen der HDP auf Hochtouren.“ Er verwies auf eine Veranstaltung am kommenden Sonntag auf dem Berliner Oranienplatz.

Außenminister Mevlüt Cavusoglu ging noch einen Schritt weiter und warf den Deutschen vor, sie wollten die Türkei zu einer Kreditaufnahme mit hohen Zinsen zwingen und damit „versenken“, sagte der Minister.

Auch andere Regierungspolitiker machen angebliche Ränkespiele des Auslands für den drastischen Wertverlust der Lira in den vergangenen Wochen verantwortlich. Erdogan kritisierte bei einer Wahlkampfrede am Samstag unter anderem den Milliardär und Demokratie-Aktivisten George Soros sowie die „Zins-Lobby“. Er rief die Türken auf, etwaige Dollar-Ersparnisse in Lira umzuwandeln, um die Landeswährung zu stützen und damit das angebliche Komplott des Auslands gegen die Türkei auszuhebeln: „Wir werden dieses Spielchen durchkreuzen.“

Die Lira hat an Wert verloren

Die Lira hat innerhalb eines Monats rund 16 Prozent ihres Wertes gegenüber dem Dollar verloren. Kritiker werfen der Regierung vor, mit ihren Klagen über das angeblich feindliche Ausland von der eigenen Verantwortung für die Währungs-Turbulenzen ablenken zu wollen. Einer der Auslöser für den Kurssturz war Erdogans Ankündigung, nach der Juni-Wahl mehr Verantwortung für die Finanzpolitik an sich zu ziehen. Dies verstärkte Sorgen von Investoren über die Unabhängigkeit der türkischen Zentralbank. Die Währungshüter stoppten den Kursverlust zumindest vorübergehend mit einer Zinserhöhung gegen den erklärten Willen von Erdogan.

Gleichzeitig mit der Kritik am Westen und am deutschen Umgang mit türkischen Kundgebungen in der Bundesrepublik lebt auch die These von der Rolle des Westens bei den regierungsfeindlichen Gezi-Protesten vom Mai 2013 wieder auf. Erdogan wirft dem Westen vor, die damaligen Unruhen organisiert zu haben, um einen Regierungswechsel in Ankara herbeizuführen. In der Rede am Samstag bekräftigte er diese Sicht der Dinge: „Wie bei Gezi“ hätten sich fremde Mächte bei der Lira-Abwertung gegen die Türkei verschworen, sagte er. Die regierungsnahe Presse unterstützt den Präsidenten in dieser Haltung. Die Machenschaften des Auslands, die bei den Gezi-Unruhen begonnen hätten, gingen mit der Abwertung der Lira weiter, kommentierte die Zeitung „Yeni Safak“.

Mindestens bis zu den Wahlen Ende Juni ist angesichts dieser Rhetorik nicht mit einer Normalisierung der Beziehungen zwischen der Türkei und europäischen Ländern wie Deutschland zu rechnen. In der schwierigen Zeit soll nach Angaben europäischer Diplomaten zumindest versucht werden, den Gesprächsfaden mit Ankara nicht abreißen zu lassen.

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