Regierungsbildung Angela Merkel stellt sich vierter Wahl zur Bundeskanzlerin

Berlin · An diesem Mittwoch stellt sich die CDU-Vorsitzende zum vierten Mal der Wahl zur Bundeskanzlerin. Sie macht sich auf den Weg, Konrad Adenauer zu überholen und Helmut Kohl einzuholen.

Alexander Dobrindt findet diese Frage nicht besonders originell. Ausgerechnet er, der CSU-Landesgruppenchef, der nicht als Fan von Angela Merkel gilt, soll erklären, warum die Bundeskanzlerin ein solches Phänomen sei. Einst als „CDU-Übergangslösung“ unterschätzt und als Kanzlerin von Männern despektierlich „Mutti“ genannt. Alle Konkurrenten ausgestochen, die Eurokrise, die Schuldenkrise, die Griechenlandkrise und auch die Flüchtlingskrise überstanden.

Erst mit der SPD regiert, dann mit der FDP und schließlich wieder mit der SPD. Aus der Bundestagswahl 2017 zwar als Siegerin, aber geschwächt wie noch nie hervorgegangen, an Jamaika-Sondierungen gescheitert, innerparteilich vom konservativen Lager stark unter Druck gesetzt, mit der SPD zurück an den Verhandlungstisch gekommen und dann die längste Regierungsbildung in der Geschichte Deutschlands erfolgreich abgeschlossen.

Wie er sich dieses Phänomen Merkel erkläre, wird der CSU-Mann Dobrindt mit Blick auf deren vierte Wahl zur Kanzlerin an diesem Mittwoch im Bundestag gefragt. Er verzichtet auf große Worte. Vermutlich hat Dobrindt, der sich nach einer „konservativen Revolution“ sehnt, auch keine große Lust, dem neuen Hardliner in der CDU, Jens Spahn, in die Parade zu fahren. Der 37-jährige Merkel-Kritiker ist ihm viel näher als die 63-Jährige, die die CDU nach der Ära Helmut Kohl so weit in die Mitte der Gesellschaft gerückt hat, und jetzt allen Widrigkeiten zum Trotz mit einer vierten Amtszeit auf dem Weg ist, Kohls Rekord von 16 Jahren Kanzlerschaft einzuholen.

Bald 13 Jahre im Kanzleramt

Dobrindt sagt, der Zuspruch habe auch damit zu tun, dass Merkel jetzt einen „historischen Regierungsfindungsprozess“ gemeistert habe. Damit umschreibt er ihre Ausdauer, ihre Hartnäckigkeit, ihre Kompromissfähigkeit, ihren unbedingten Willen zur Macht. CSU und SPD haben stark davon profitiert. Sie haben mit dem Innen- beziehungsweise dem Finanzressort Bundesministerien bekommen, die die CDU als eigene DNA empfindet. Merkel ist dafür parteiintern scharf kritisiert worden. Sie zerstöre und entkerne die Volkspartei CDU. Ihre Kondition, Beharrlichkeit und ihr Einlenken wurden so gedeutet: Merkel kann nicht loslassen, sie klebt an der Macht.

In ihrer 18-jährigen Amtszeit als Parteivorsitzende und jetzt bald 13-jährigen Kanzlerschaft waren die zurückliegenden sechs Monate nach der Zeit der Flüchtlingskrise die härtesten. Das Ausland war überrascht, dass es ausgerechnet in Deutschland mit Merkel an der Spitze drunter und drüber ging und dass der bei aller Kritik so geschätzte deutsche Anker in der EU davonzugleiten drohte.

Das Bild der mächtigsten Frau der Welt hat Kratzer bekommen. Die vierte Amtszeit braucht Merkel nun vor allem, um die Dinge zu ordnen: die Beziehungen Deutschlands zu internationalen Partnern und das Verhältnis von Politik und Bürgern, das spätestens in der Flüchtlingskrise einen Knacks bekommen hat. Sie wird auch versuchen wollen, den Menschen Ängste vor Globalisierung und Digitalisierung zu nehmen. Dafür sollen Arbeitsplätze geschaffen und Technik bereitgestellt werden. Eine der ersten Amtshandlungen wird eine Reise nach Paris noch in dieser Woche sein, um Frankreichs Staatspräsidenten Emmanuel Macron zu treffen. Auf dessen Reformvorschläge vom vorigen Herbst gibt es noch keine deutsche Antwort.

Merkel will selbstbestimmt abtreten

Merkel muss aber noch etwas anderes regeln: ihren Abschied als Kanzlerin. Es gilt als ausgeschlossen, dass sie 2021 zum fünften Mal antreten will. Sie hat sich schon die Entscheidung schwer gemacht, es 2017 noch einmal zu versuchen. Damals war ein ungünstiger Zeitpunkt zum Aufhören. Gerade war Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt worden, und Hoffnungen in der westlichen Welt richteten sich auf Merkel. Außerdem hätte sie sich damals dem Vorwurf ausgesetzt gesehen, an der Flüchtlingskrise gescheitert zu sein. Ihre Umfragen waren schlecht, die Partei in Aufruhr, das Verhältnis zur Schwesterpartei CSU zerrüttet. Und niemand in Sicht, der ihr politisches Erbe hätte antreten können und wollen. Ins Gespräch hatte sich vor allem Spahn gebracht, dem Merkel das Feld keinesfalls überlassen wollte – und will.

Nun ist die Pfarrerstochter aus der DDR, die weder typisch Frau noch typisch ostdeutsch ist, einen erheblichen Schritt weiter. Sie hat diese Regierungsbildung mit aller Kraft geschafft. Als sie am Montag den Koalitionsvertrag unterschrieb, sah Merkel zwar müde aus, wirkte aber erleichtert. Auf die Frage, ob ihre vierte Regierung und dritte große Koalition die volle vierjährige Amtszeit halten werde, antwortete sie mechanisch: „Ich gehe davon aus.“ Andere gehen davon aus, dass sie mit Annegret Kramp-Karrenbauer ihre Wunschkandidatin für ihre Nachfolge gefunden und ihr eine perfekte Ausgangsposition als CDU-Generalsekretärin verschafft hat. Sie grätscht Spahn ganz im Sinne Merkels jetzt schon dazwischen. Seine Äußerung, dass Hartz-IV-Empfänger nicht in Armut lebten, konterte sie mit der Bemerkung, dass hoch bezahlte Politiker besser nicht erklären sollten, wie sich Hartz-IV-Empfänger fühlen.

Merkel wird anders als alle vorherigen Kanzler selbstbestimmt abtreten wollen. 2019 ist sie länger als Konrad Adenauer im Amt. 2020 könnte sie den Parteivorsitz Kramp-Karrenbauer antragen und damit gleich die nächste Kanzlerkandidatur abgeben. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, hat Michail Gorbatschow 1989 dem maroden DDR-Regime kurz vor dessen Untergang als Warnung auf den Weg gegeben. Wer zu spät geht, vielleicht auch. Merkel weiß das.

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