Nach dem Jamaika-Aus Angela Merkel ist mächtigste Verliererin der Welt

BERLIN · Angela Merkel führt Deutschland seit zwölf Jahren. Seitdem hat sie Vieles erreicht. Jetzt wäre der Zeitpunkt zum Abschied. Aber sie will ja weitermachen. Ein Essay.

 Ziemlich beste Freunde nach den Sondierungen: Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Grünen-Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Toni Hofreiter.

Ziemlich beste Freunde nach den Sondierungen: Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Grünen-Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Toni Hofreiter.

Foto: dpa

Angela Merkel ist immer dann besonders gut, wenn der Konflikt am größten und die Lösung am schwierigsten ist. So hat sie Deutschland und Europa durch die Schuldenkrise, die Eurokrise, die Griechenlandkrise und auch die Flüchtlingskrise gesteuert. Sie kann gesichtswahrend mit populistischen, autokratischen, provokanten Staatschefs, mit Donald Trump, Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan verhandeln. Seit zwölf Jahren ringt sie über Tage und Nächte auf internationalen Gipfeln von G7 bis G20, von EU bis Nato und Afrika bis Chile um Ergebnisse. Sie ist auch in der Lage, blitzschnell umzusteuern, wenn der Wind sich dreht.

So reagierte sie auf den Super-Gau in Fukushima mit dem Atomausstieg, obwohl ihre damalige schwarz-gelbe Bundesregierung die Laufzeiten für die Meiler gerade erst verlängert hatte. Und als die Briten unerwartet Ja zum EU-Abschied gesagt hatten, pochte sie trotz aller Enttäuschung auf eine schnelle Umsetzung. Die Bundeskanzlerin nimmt die Dinge, wie sie kommen. Einen Plan B erarbeitet sie erst, wenn es nötig wird. Dann aber mit brutaler Konsequenz.

All das hat ihr das Prädikat „mächtigste Frau der Welt“ eingetragen. Sie ist bei Weitem nicht allen sympathisch, aber Länder und Regierungschefs zollen ihr Respekt und haben Vertrauen in ihre Stärke. Gerade jetzt, in der Berliner Krise, wird noch einmal ganz deutlich, wie sehr Europa auf Merkel schaut. Das Scheitern von Jamaika wird von Paris bis Budapest mit Sorge verfolgt, weil Deutschland derzeit nicht die sonst gern beklagte Führungsrolle ausfüllen kann.

Die dienstälteste Regierungschefin Europas steht als Verliererin da, weil erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik aller Voraussicht nach keine Regierung nach der Wahl zustande kommt. Ausgerechnet Merkel, die Moderatorin, die Verlässliche, schafft es nicht, „die Enden zusammenzubinden“, wie sie es oft schnörkellos formuliert.

Amtsmüde ist Merkel nicht

Aber so verfahren die Lage ist, sie spornt die 63-Jährige nur an. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Sondierungen scheitern werden, erst recht nicht an einer Regierungsunwilligkeit des langjährigen Wunschpartners FDP. Mag sie in der Nacht zum Montag noch so müde und niedergeschlagen gewirkt haben. Amtsmüde ist Merkel nicht. Vielleicht wird die FDP noch ein ungutes Gefühl wegen ihrer früh und recht keck geäußerten Botschaft beschleichen, dass sie keine Angst vor Neuwahlen habe. Denn Merkel hat bereits an Tag eins den harten Kampf um die Macht aufgenommen.

In Fernseh-Interviews kündigte sie ohne Umschweife ihre erneute Kanzlerkandidatur an, wofür sie vor einem Jahr noch Monate gebraucht hatte. „Deutschland braucht jetzt Stabilität“, sagt sie schlicht und erinnert an ihr Versprechen, dass sie für vier weitere Jahre dem Land dienen wolle. Sei's drum, dass dann eben zweimal dafür gewählt werden muss. Es sollte den anderen Parteien eine Warnung sein, wenn Merkel über die Sondierungen sagt: „Auch ich habe da sehr viel gelernt.“

Merkel ist ein Schwamm, wenn sie sich für Themen interessiert und neue Wege sieht. Sie könnte in das nächste Wahlprogramm Kompromisse aus den Sondierungen aufnehmen: ein bisschen Kohleausstieg, weniger Vorratsdatenspeicherung, eine bessere Förderung von Kindern, mehr Tierschutz, weniger Pflanzenschutz. An Rückzug denkt sie nicht.

Merkel könnte das Feld jetzt anderen überlassen

Dabei wäre es jetzt eine gute Gelegenheit für Merkel, diesen anzutreten. Schon in der vorigen Wahlperiode wurde spekuliert, ob sie anders als alle ihre Vorgänger ihren Abschied aus dem Amt selbst bestimmen kann. Vor fast 20 Jahren hatte sie sich vorgenommen, irgendwann den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Politik zu finden, ohne ein „halb totes Wrack zu sein“.

Sollte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Neuwahlen zustimmen, wäre eigentlich der richtige Zeitpunkt gekommen, sich von Kanzleramt und CDU-Vorsitz zu verabschieden. Nicht, weil sie gescheitert wäre, sondern weil sie fast alles erreicht hat. Die Physikerin aus der DDR ist eben zur mächtigsten Frau der Welt geworden. Deutschland steht gut da. Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosenquote ist gering, das Land ist stabil trotz rechtsnationaler Tendenzen und Polarisierung.

Merkel könnte das Feld jetzt anderen überlassen. Jemandem, dem sie die CDU und das Land gern anvertrauen würde. Der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer zum Beispiel. Auch wenn ein auf Wahlen basierender Übergang keine Garantie verspricht.

Merkel, die so ungewöhnlich uneitle Regierungschefin

Merkel ist zwar geschäftsführende Bundeskanzlerin, aber nicht Geschäftsführerin eines Unternehmens, die über ihre Nachfolge bestimmen kann. Oder sie ließe Raum für eine Richtungsdebatte in der CDU darüber, ob es doch die nächste Generation, die Jüngeren, die Konservativeren um Finanzstaatssekretär Jens Spahn reißen sollen, die im Übrigen jetzt auffallend still sind.

Viele Menschen würden Merkels Abgang bedauern, aber mit Hochachtung aufnehmen. Merkel, die so ungewöhnlich uneitle Regierungschefin, die keine Stimmungen anheizt und die Partei nicht über das Land stellt. Es ist ein gefährlicher Moment, sich für unentbehrlich zu halten. Helmut Kohl hat diesen Fehler gemacht und wurde nach 16 Jahren Kanzlerschaft abgewählt. Merkel hat auch ihre vierte Wahl im September gewonnen. Was will sie mehr?

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