Deutsch-türkisches Verhältnis An der Grenze der Toleranz

Berlin · Bundesinnenminister Thomas de Maizière will sich die aggressive türkische Politik in Deutschland nicht länger bieten lassen. Vom Moscheeverband Ditib fordert er mehr Unabhängigkeit von Ankara.

Es reicht. Thomas de Maizière will die Emotionen im deutsch-türkischen Verhältnis nicht noch weiter hochkochen, doch der Bundesinnenminister schickt dann doch eine Botschaft der Entschlossenheit hinaus ins Land: „Es gibt eine ganz klare Grenze, an der auch meine Toleranz endet.“ Womöglich hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan diese Grenze zumindest berührt, als er am Montagabend Bundeskanzlerin Angela Merkel vorhielt, diese unterstütze Terroristen der auch in Deutschland verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Erdogan brach dabei auch mit Benimmregeln: Er duzte in einem Interview im türkischen Fernsehen die Bundeskanzlerin, als er über sie sprach („Verehrte Merkel, Du unterstützt Terroristen“), was unter anderem den türkisch-stämmigen Grünen-Chef Cem Özdemir empörte: „Er duzt hier Merkel, das muss man wissen.“

Gerade noch hat de Maizière im Lenkungsausschuss der Deutschen Islam Konferenz (DIK) über Seelsorge für Muslime in Krankenhäusern, beim Militär oder in Gefängnissen gesprochen. Was aus der Deutschen Islam Konferenz in der nächsten Legislaturperiode wird? De Maizière will sich nicht festlegen, sagt aber doch, dass sich die Konferenz selbstredend „nicht im politikfreien Raum“ bewege. Die DIK werde „nur relevant“ bleiben, wenn sie auf aktuelle Entwicklungen eingehe und auch das Risiko von Kontroversen in Kauf nehme.

Natürlich kennt auch der Sprecher des Koordinationsrates der Muslime, Erol Pürlü, die jüngsten Angriffe Erdogans gegen die Bundesregierung und Regierungschefin Merkel. Dies belaste auch die Atmosphäre innerhalb der DIK, „deshalb ist eine verbale Abrüstung sehr wichtig“, so Pürlü. Nur wer abrüsten solle, sagte Pürlü nicht.

De Maizière will sich die Angriffe „der türkischen Seite“, wie er sagt, ohne dabei Erdogan namentlich zu nennen, nicht länger bieten lassen. Der Terrorismus-Vorwurf aus Ankara gegen die Bundesregierung sei „absurd“, die Vergleiche der heutigen Bundesrepublik mit Nazi-Deutschland seien „indiskutabel“. Solche Angriffe gegen Deutschland hätten als vornehmliches Ziel, „die Türkei in eine Opferrolle zu bringen“. Wenn ein anderer Staat in Deutschland politisch Einfluss nehmen wolle, „dann sollte das auch uns alle alarmieren“. Türkische Politiker, die den Wolfsgruß in Deutschland zeigten – die ausgestreckte Hand als Zeichen türkischer Ultranationalisten – überschritten Grenzen hin zur Strafbarkeit. Er werde als Bundesinnenminister nicht dulden, dass innertürkische Konflikte in Deutschland zugespitzt würden.

Er weiß, dass sich die Stimmung hierzulande aufschaukeln könnte, und dies sei womöglich einkalkuliert. Er wendet sich eindringlich an die Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland: „Lassen Sie sich bitte nicht in Stellung bringen gegen das Land, in dem Sie leben.“ Auch habe die türkische Regierung der Bundesregierung keine Liste überreicht, auf der angeblich die Namen von etwa 4000 türkischen Staatsbürgern stehen sollen, die Erdogan als terrorverdächtig einstuft. De Maizière dazu unmissverständlich: „Es gibt eine solche Liste nicht.“ Dafür gebe es allerdings eine Liste von ehemaligen Ministern und Abgeordneten von Erdogans Partei AKP, die in Deutschland Wahlkampf für das angestrebte Verfassungsreferendum machen wollen, das Erdogan noch mehr Macht geben soll. Darin würden noch etwa 15 Auftritte türkischer Politiker in Deutschland angekündigt. Der CDU-Politiker erklärte dazu, dass es bislang keine Verbote dieser Auftritte gebe. „Wir sind stark genug, diese öffentliche Debatte auszuhalten.“ Doch wenn die Behörden in Deutschland tätig würden, „tun wir das ohne Ankündigung“.

Zugleich forderte de Maizière den deutsch-türkischen Moscheeverband Ditib zu mehr Unabhängigkeit von Ankara auf. Zu Berichten, wonach Imame nach Deutschland geschickt worden seien, um Anhänger des Predigers Fethullah Gülen zu bespitzeln, sagte de Maizière: „Da schrillen bei mir die Alarmglocken.“ Wenn eine Organisation auf diese Weise aus dem Ausland beeinflusst würde, erfülle sie nicht die Kriterien einer Religionsgemeinschaft in Deutschland.

De Maizière nannte den größten deutschen Moscheeverband Ditib bisher „einen der zuverlässigsten Partner der deutschen Seite. Aber die Dinge haben sich verändert. Deshalb ist es notwendig, dass sich auch Ditib verändert.“

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