Analyse AfD bei Vizepräsidenten-Wahl im Bundestag abgewatscht

Berlin · Die AfD-Politikerin Mariana Harder-Kühnel ist zum dritten Mal bei der Wahl zur Vizepräsidentin gescheitert. Das Verhältnis zwischen der AfD und anderen Fraktionen ist eisig, zeigt eine Analyse.

Es ist 15.16 Uhr, als die 44-jährige AfD-Abgeordnete Mariana Harder-Kühnel in den Reihen der AfD Platz nimmt. Sie trägt ein auffälliges Kleid in Bundestagsblau und setzt sich an den Rand, damit sie sofort aufstehen und ein paar Meter weiter als neue Bundestagsvizepräsidentin die Glückwünsche entgegennehmen kann. Die AfD scheint so dicht dran am Einzug ins Präsidium zu sein wie in keinem der fünf Wahlgänge mit Albrecht Glaser und Harder-Kühnel zuvor. Sowohl Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus als auch FDP-Fraktionschef Christian Lindner haben sich für ihre Wahl ausgesprochen, um der AfD die Opferrolle zu verderben. Doch dann kommt einer der Schriftführer von der Auszählung der geheim angekreuzten Stimmzettel und senkt den Daumen.

Es hat nicht nur knapp nicht geklappt, wie in der AfD vermutet worden war, sondern es setzte eine scheppernde Niederlage. Obwohl sie keine absolute Mehrheit mehr brauchte, sondern im dritten Durchgang nur mehr Ja- als Neinstimmen benötigte, votierten nur 199 Abgeordnete mit Ja, 423 mit Nein – und damit noch deutlich mehr als in den ersten beiden Wahlgängen mit 387 und 377. Die AfD hat Redebedarf, beruft eine Sondersitzung ein.

Hat sie auch selbst dazu beigetragen? Am Morgen der Wahl meldet sich eine ganze Reihe von Abgeordneten aus der AfD, um Harder-Kühnel bei Journalisten anzuschwärzen. Sie sei gar nicht so „moderat“, wie sie dargestellt werde, habe enge Beziehungen zum „Flügel“ auf dem rechten Rand. Und deshalb wollten auch AfD-Abgeordnete die eigene Kandidatin nicht wählen.

Merkliche Klimaveränderung

In der Sondersitzung wird sie jedenfalls erst einmal demonstrativ gefeiert. Es ist das eindeutige Ergebnis, das die Abgeordneten erst einmal zusammenschweißt. Selbst wenn auch etliche AfD-Leute von der Fahne gegangen sein sollen (intern wird ihre Zahl auf „vielleicht drei“ geschätzt), zeigten die vielen Nein-Stimmen doch nur, dass Brinkhaus und Lindner ihre eigenen Truppen nicht im Griff hätten. Wie die anderen hier mit der Demokratie umgegangen seien, würden sie bald im Alltag zu spüren bekommen. So sinkt die Neigung der AfD, bei nächtlichen Sitzungen den anderen Fraktionen entgegen zu kommen und Reden nur noch zu Protokoll zu geben, auf den Nullpunkt. Wer nicht hören will, soll künftig bis zum frühen Morgen tagen müssen.

Zudem will die AfD wann immer es sich ergibt, mit weiteren Kandidaten aufwarten. Dass die anderen Fraktionen dann die Geschäftsordnung ändern und der AfD endgültig die Chance nehmen, einen Vizepräsidenten zu stellen, ist einkalkuliert. Es zeugt von der merklichen Klimaveränderung, die seit dem Einzug der AfD in Bundestag zu verzeichnen ist.

Misstrauen und Ärger

In den vielen Gebäuden mit den Abgeordnetenbüros herrschen Misstrauen und Ärger. Teilweise verstummen Gespräche in den Aufzügen, weil die Gesprächspartner keinesfalls wollen, dass Mitarbeiter der AfD mithören können. Zugleich bekämpfen sich insbesondere Linke und AfD auf den Fluren mit Plakaten, die jeweils angebracht oder abgerissen werden. Die Bundestagsverwaltung muss sich immer wieder mit Beschwerden über die AfD oder von der AfD herumschlagen. Es sind auch schon Gerüchte verbreitet worden, AfD-Mitarbeiter seien bewaffnet. Diese Schärfe der Auseinandersetzung, die weit über den politischen Streit hinausreicht, ist für die die Abgeordneten von Union, SPD, Grünen, FDP und Linken neu.

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) hatte in einem Interview mit unserer Redaktion Ende 2018 Jahres beklagt, im Bundestag erlebe man durch die AfD eine „Entgrenzung von Sprache, einen Angriff auf demokratische Institutionen und den Versuch der Umdeutung der Geschichte“. Sie sprach auch davon, dass manche Mitarbeiter „Angst“ hätten. Ihr Amtskollege, Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP), beklagte, dass ein Drittel der AfD-Abgeordneten „verbal-aggressiv“sei.

Kubicki, der zu jenen gehörte, die eine Wahl von Harder-Kühnel grundsätzlich unterstützten, wies der AfD die Schuld an der Niederlage zu. Unserer Redaktion sagte er: „Die Drohungen der AfD in den letzten Tagen haben offensichtlich dazu geführt, dass Frau Harder-Kühnel weniger Stimmen erhielt, als beim letzten Mal.“ Auch Berichte über interne Intrigen in der AfD-Fraktion seien sicher nicht hilfreich gewesen. Kubicki betonte: „Ich kann es nur wiederholen: Die AfD hat ein Vorschlags-, kein Bestimmungsrecht.“

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