Mit Sicherheitsgurt und Frühwarnsystem 100 Tage Schonfrist für AKK

Berlin · Neue Minister haben gemeinhin 100 Tage, um sich in ein neues Amt einzuarbeiten. Für Annegret Kramp-Karrenbauer beginnen diese 100 Tage am Mittwoch.

Peter Struck war ein weißer Jahrgang. Ein Ungedienter. Doch wenn der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt bei den Soldaten im Kosovo als Blues Brother mit Sonnenbrille und Hut auf die Bühne sprang und Harry Belafontes „Matilda“ sang, johlte die Truppe: „Suuuper Minister!“ Struck grinste trocken und rief ins Mikrofon: „Was ist hier los? Ist ja überhaupt keine Disziplin!“ Dann sang er das nächste Lied für seine Truppe, die ihm wieder zujubelte. „Suuuper Minister!“ Struck überstand 100 Tage und auch den Rest seiner insgesamt gut dreijährigen Amtszeit als Bundesminister der Verteidigung – als einer der wenigen auf diesem Posten weitgehend ohnehin Schrammen. Er, der Ungediente, war beliebt: Soldatenminister. Struck war auch der beste Beweis dafür, dass man von einem Fach, das man vermeintlich schon vor Amtsantritt beherrschen soll, nichts wissen muss und das Ministerium trotzdem bestens führen kann.

„So wahr mir Gott helfe.“ Wenn Annegret Kramp-Karrenbauer an diesem Mittwoch in einer Sondersitzung des Bundestages ihren Eid auf das Grundgesetz geleistet haben wird, als Christdemokratin selbstredend mit dem Gottesbezug, wird sie auch weltliche Hilfe brauchen. Gerade in den ersten 100 Tagen, in denen für jede Ministerin und jeden Minister noch eine gewisse Schonfrist gilt. Doch in dieser schnellen internet-getakteten Zeit, im hoch nervösen Berliner Politik- und Medienbetrieb, wird eine Phase der Einarbeitung ohnehin nur noch bedingt gestattet. Kramp-Karrenbauer steht vom ersten Tag an unter Beobachtung in einem Amt, mit dem sie in ihrem bisherigen politischen Leben kaum Berührungspunkte hatte. Die Frage, die sich viele stellen: Wie kann jemand in 100 Tagen überhaupt so fit werden, dass man ein Ministerium führen kann?

Die Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp, Professorin an der Freien Universität (FU) Berlin, sagt über die Herausforderung: „Politiker sind in der Regel eher Generalisten, wobei man erwarten darf, dass Minister oder Ministerinnen in der Lage sind, sich sehr schnell in ein neues Fachgebiet einarbeiten zu können. Also ganz ohne Fachkompetenz geht es nicht.“ Kramp-Karrenbauer werde sich mit Amtsantritt einer „fachlich hoch qualifizierten Corona von Beamten gegenüber sehen“. „Auch als Ministerin kommt man gegen den Willen der Beamten nur schwer an, wenn man sie nicht führen und von politischen Projekten überzeugen kann. Ein kooperativer Führungsstil kann helfen und zeigen, dass man die Expertise im eigenen Haus auch gerne aufgreift. Im Zweifel muss Frau Kramp-Karenbauer aber in der Lage sein, auch hierarchisch und entschlossen zu führen. Sonst kann sie Regierungsprojekte nicht durchsetzen.“

Ex-Generalinspekteur Harald Kujat ist schon jetzt überzeugt: Kramp-Karrenbauer kann dieses Amt. Der frühere Vier-Sterner: „Niemand wird als Verteidigungsministerin geboren. Aber das Amt ist trotzdem keine Schwarze Kunst, das kann man lernen.“ Man dürfe es aber nicht mit alten Rezepten führen, „so wie es Frau von der Leyen gemacht hat. Ideen aus dem Familienministerium auf das Verteidigungsministerium zu übertragen, das funktioniert nicht. Bei von der Leyen ging es vor allem um von der Leyen.“ Kramp-Karrenbauer vermittele den Eindruck, dass es ihr um die Sache gehe. Kramp-Karrenbauer – die Soldatenministerin? Das wäre was.

Kujat empfiehlt Kramp-Karrenbauer, ein ganz spezielles Gremium – auch zur eigenen Absicherung – wieder einzusetzen: „Die neue Verteidigungsministerin bräuchte dringend wieder einen Planungsstab, der sie – außerhalb der Hierarchie eines Ministeriums – unabhängig berät, Vorlagen prüft, auch auf Fallstricke hinweist. Der Planungsstab ist ja das Frühwarnsystem einer Verteidigungsministerin, sozusagen ihr Sicherheitsgurt. Gerade jemand, der neu in dieses Amt kommt, braucht einen Planungsstab als Instrument unabhängiger Beratung.“

Großer Arbeitgeber mit ganz besonderem Auftrag

Vor allem: Kramp-Karrenbauer muss bei allem, was ihr ihre Berater mitgeben, darauf achten, was die Bundeswehr ist: Ein sehr großer Arbeitgeber mit 262 000 militärischen und zivilen Mitarbeitern und einem ganz besonderen Auftrag: Landes- und Bündnisverteidigung, bei der es auch um Leben und Tod geht. Kramp-Karrenbauer muss viele Baustellen abräumen: Ausrüstungsmängel, Modernisierung, Berateraffäre. 100 Tage sind schnell um. Vielleicht erlebt Kramp-Karrenbauer gar keine echte 100-Tage-Frist.

Womöglich schießt die SPD schon im Landtagswahlkampf im Osten gegen sie, die Ministerin, die auch CDU-Vorsitzende ist. „Es kann also bald sehr unruhig für Frau Kramp-Karrenbauer werden – noch vor Ablauf der 100-Tage-Frist“, so Politikwissenschaftlerin Kropp. Jeder Fehler der Novizin wäre ein gefundenes Fressen. Ex-Generalinspekteur Kujat: „Wer weiß, wie lange diese Regierung hält. Vielleicht ist Frau Kramp-Karrenbauer Ende dieses Jahres noch Verteidigungsministerin, vielleicht ist sie Bundeskanzlerin, vielleicht ist sie auch gar nichts.“ 100 Tage plus X. An diesem Mittwoch beginnt Kramp-Karrenbauers neue Zeitrechnung.

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