GA-Interview mit Mouhanad Khorchide „Wir brauchen einen europäischen Islam“

Bonn · Der muslimische Theologe Mouhanad Khorchide wirbt im GA-Interview eindringlich für einen „europäischen Islam“, „der sich als selbstverständlichen Teil Europas sieht und entfaltet“.

 Der Theologe Mouhanad Khorchide vom Muslimischen Forum Deutschland vergangenes Jahr während einer Pressekonferenz in Berlin.

Der Theologe Mouhanad Khorchide vom Muslimischen Forum Deutschland vergangenes Jahr während einer Pressekonferenz in Berlin.

Foto: picture alliance / dpa

Herr Professor Khorchide, Sie sind Österreicher. Fast 50 Prozent Ihrer Landsleute haben bei der Wahl für einen Kandidaten gestimmt, der erklärt, der Islam gehöre nicht zu Österreich. Wenn er Präsident geworden wäre, hätten Sie Ihren Pass zurückgegeben?

Mouhanad Khorchide: Auf keinen Fall! Aber ich nehme wahr, wie viele Menschen verunsichert sind. Dieses Verhalten ist vielleicht nicht einmal in erster Linie gegen Ausländer und gegen Muslime gerichtet, sondern Ausdruck der Frustration über die bisher regierenden Parteien. Aber es gibt natürlich auch diese Ängste vor dem Islam.

Was antworten Sie jemandem, der solche Ängste hat? Hierzulande sagt ja sogar Unions-Fraktionschef Volker Kauder, der Islam gehöre nicht zu Deutschland.

Khorchide: Die Frage, ob der Islam zu Deutschland oder Österreich gehört, ist ja an sich schon absurd. Viele Muslime leben hier in der dritten oder vierten Generation. Bei denen kommt das so an, als ob diskutiert würde, ob sie dazugehören. Dabei ist das hier doch ihre Heimat. Das vermittelt Menschen, die sich eigentlich mit diesen Ländern identifizieren, den Eindruck, sie seien die anderen. Das spaltet die Gesellschaft.

Aber es gibt doch Ansatzpunkte für diese Debatte. Angefangen bei der Seelsorge: Viele Imame werden nach wie vor etwa aus der Türkei entsandt. Das wirkt nicht so, als sei diese Religion hier zu Hause.

Khorchide: Ich finde es in der Tat hochproblematisch, dass Imame aus dem Ausland hier in Deutschland zu den Menschen sprechen und die religiösen Bezüge herstellen. Sie kennen die Lebenswirklichkeit hier nicht. Das ist nicht der richtige Weg, um den Islam hier zu beheimaten.

Es gibt Studien, etwa vom Bundesinnenministerium oder vom Wissenschaftszentrum Berlin, die nahelegen, dass ein Teil der Muslime mit der Gesellschaftsordnung hier fremdelt und religiösen Vorschriften den Vorrang vor staatlichem Recht gibt.

Khorchide: Andere Studien wie der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung zeigen das Gegenteil. 90 Prozent der Muslime identifizieren sich demnach mit den demokratischen Grundwerten. Meine persönliche Erfahrung ist gespalten: Es gibt junge Menschen, die höhere Erwartungen an die Gesellschaft haben als die erste Generation. Die als selbstverständlicher Teil dieser Gesellschaft leben wollen. Wenn hier eine Polarisierung entsteht, wenn hier der Eindruck vermittelt wird, wir sind die Deutschen und Ihr Muslime seid die anderen, dann sind wir genau an dem Punkt, an dem salafistische Angebote interessant werden. Denn die setzen ja spiegelverkehrt auf die gleiche Rhetorik: Wir sind die Muslime, wir sind etwas Besseres, und die deutsche Gesellschaft, das sind die anderen, das Feindbild

In der „Islamischen Charta“ einiger Verbände steht allerdings, das islamische Recht verpflichte die in der Diaspora lebenden Muslime, die örtliche Rechtsordnung einzuhalten. Steht dahinter nicht genau diese Vorstellung: Hier wir Muslime, da die anderen?

Khorchide: Eine solche Rhetorik ist genauso gefährlich und polarisierend. Hier stellen sich Muslime gerade nicht als selbstverständlicher Teil dieser Gesellschaft dar, sondern meinen, sie müssten erst einen Vertrag mit dieser Gesellschaft, mit Europa eingehen. Stattdessen brauchen wir einen europäischen Islam, der sich als selbstverständlichen Teil Europas sieht und entfaltet.

Nun gibt es Muslime, die betonen, dass Mohammed ja nicht nur Glaubenslehrer war, sondern auch eine Gesellschaftsordnung errichtet habe, und die sei maßgeblich. Was könnten zum Beispiel Ihre Studenten später als Religionslehrer auf so eine These antworten?

Khorchide: Sie könnten antworten, dass es theologisch zwingend ist, die Rolle Mohammeds als Prophet von der des Staatsoberhaupts zu trennen. Seine spirituellen und ethischen Lehren betreffen überzeitliche Grundsätze der Religion. Aber wie er versucht hat, diese Prinzipien mit den Mitteln des 7. Jahrhunderts als Staatsoberhaupt umzusetzen, auch die Gesetze, die er erlassen hat, das alles ist an den Kontext dieser Zeit gebunden. Die juristischen Maßnahmen, wie Körperstrafen, sind für Muslime heute nicht bindend. Wenn man das einsieht, hat man eine gute Grundlage, auch als Muslim das Prinzip eines säkularen Staates zu vertreten.

Ich stelle mich einmal auf den Standpunkt eines Fundamentalisten und wende ein: Viele Rechtsvorschriften, aber auch Verse über den Kampf gegen die Ungläubigen stehen im Koran. Und der ist Gottes Wort und steht über alle Zeit. Was sagen Sie dazu?

Khorchide: Keine Frage, es ist Gottes Wort, aber Gott hat keinen Monolog gehalten. Er hat mit Mohammed und seiner Gemeinde gesprochen. Der Koran ist Kommunikation, und Kommunikation kann man nur verstehen, wenn man ihre Situation berücksichtigt. Ich kann den Koran nicht verstehen, wenn ich ihn nicht im historischen Kontext des 7. Jahrhunderts verorte und frage, warum die Tonlage hier so und dort so ist, warum etwa mit Nicht-Muslimen ganz unterschiedlich verfahren wird. Dann wird man feststellen, dass das von der jeweiligen Situation abhing, und dann relativiert sich einiges, was man an Gewaltpotenzial im Koran sieht. Zum Beispiel sind die berühmten Schwertverse über das Töten der Nichtmuslime aus einer bestimmten Konfliktsituation heraus zu erklären und für uns Heutige nicht maßgeblich.

Werden denn die Studenten, die Sie nach diesen Grundsätzen ausbilden, keine Probleme haben, als Schullehrer angestellt zu werden? Von einigen Verbandsvertreten sind Sie in der Vergangenheit ja geradezu als Ungläubiger hingestellt worden.

Khorchide: Die Absolventen werden keine Probleme haben. Niemand darf ihnen die Lehrerlaubnis verweigern, weil sie bei Professor Khorchide studiert haben. Das würde nur aus religiösen Gründen gehen, also etwa wenn sie Gott leugnen oder bestreiten, dass Mohammed gelebt hat. Ich sehe das ganz entspannt. Bei den Auseinandersetzungen mit mir geht es doch in aller Regel nicht um Inhalte, sondern um Machtpolitik: Wer spricht für den Islam? Manche meiner Gegner sehen ihre Deutungshoheit in Gefahr. Wenn mich allerdings jemand aus inhaltlichen Gründen kritisiert, dann sind das Vertreter salafistischer oder zumindest sehr fundamentalistischer Positionen, die sich weigern, den Koran im historischen Kontext zu sehen. Und dann wird es in der Tat problematisch.

Wer wird am Ende über die Lehrerlaubnis entscheiden?

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