Interview mit Publizist Alfred Grosser „Trump ist weitgehend ein Psychopath“

Der Publizist Alfred Grosser spricht im Interview mit dem General-Anzeiger über das deutsch-französische Verhältnis, den Brexit und die Zukunft Europas.

 Donald Trump lässt Europa zusammenrücken, glaubt Alfred Grosser.

Donald Trump lässt Europa zusammenrücken, glaubt Alfred Grosser.

Foto: Benjamin Westhoff

Wird es die EU in 20 oder 30 Jahren noch geben?

Alfred Grosser: Ich hoffe sehr. Die scharfen Europa-Kritiker Ungarn und Slowakei werden vielleicht nicht mehr dabei sein. In Polen aber bin ich guter Hoffnung, dass bei der nächsten Wahl die europafreundliche Opposition wieder die Mehrheit bekommt.

Was wird aus Großbritannien ohne die Europäische Union? In dieser Woche finden Parlamentswahlen statt.

Grosser: Ich glaube, dass es in wenigen Jahren ein neues Referendum in Großbritannien geben wird und die Briten dann doch wieder EU-Mitglied werden. Die EU-Verhandler sind sich einig, dass sie hart bleiben wollen. Frau May muss zwei Dinge anerkennen: Dass sie die britischen Schulden bezahlen muss, und dass die EU-Bürger in Großbritannien bleiben dürfen. Das fällt ihr sehr schwer. Wenn sie Regierungschefin bleibt, wird sie einsehen, dass der echte Brexit für Großbritannien viel zu teuer werden wird.

Sie glauben also eher an eine Renaissance Europas als ein Ende der Integration?

Grosser: Ja. Es wird dazu kommen, was Wolfgang Schäuble und Karl Lamers schon vor über 20 Jahren prophezeit haben, dass nämlich einige vorangehen und die anderen nachkommen. Das haben wir ja heute schon beim Euro, den niemand verlassen hat, den aber immer mehr Länder eingeführt haben.

Wie gehen die Wahlen zur französischen Nationalversammlung in der nächsten Woche aus?

Grosser: Ich glaube an Demoskopie, wenn sie das voraussagt, was ich hoffe. Und ich hoffe, dass Macrons Bewegung gewinnt. Derzeit sieht es sogar nach der absoluten Mehrheit aus.

Was will Macron?

Grosser: Er will die soziale Marktwirtschaft, die in Frankreich eigentlich verpönt ist. Als erstes will er die Mitbestimmung einführen, wovon die Gewerkschaften, aber auch die Arbeitgeber nicht begeistert sind. Zum einen gibt es in Frankreich relativ wenige Gewerkschaftsmitglieder, sodass die Belegschaften selbst die Arbeitnehmerseite bestücken. Das ist für die Gewerkschaften hart. Zum anderen gibt es aber auch erhebliche Vorbehalte der Arbeitgeber, die sich nicht in ihre Bücher schauen lassen wollen und nicht daran denken, die Belegschaften bei der Planung der Zukunft einzubeziehen.

Es heißt immer, er will sich mehr um die Armenviertel kümmern.

Grosser: Ich hoffe, er setzt das durch, was er machen will. Er will die besten Lehrer dorthin schicken, sie besser bezahlen als in anderen Gegenden und die Klassen in den Grundschulen von 25 auf zwölf Kinder verkleinern, damit die Kinder dort nicht auf ewig verloren sind.

Wo liegen die Probleme der neuen Regierung?

Grosser: Nehmen Sie Arbeitsministerin Muriel Pénicaud, die die Mitbestimmung einführen soll. Sie war früher Personalchefin des großen Konzerns Danone, hat dort viele Reformen zugunsten des Personals eingeführt und sich dadurch einen guten Ruf erworben. Aber niemand weiß, wie viel diese neuen Minister, die noch nie ein solches Amt innehatten, leisten können.

Wie kann denn die deutsche Regierung Macron unterstützen?

Grosser: Wir haben eine französische Regierung, in der fünf oder sechs Minister Deutsch sprechen – übrigens eine Folge des erfolgreichen Schüler- und Jugendaustauschs. Deutsch wird parallel zu Englisch mit als erste Fremdsprache eingeführt. Jetzt geht es nicht darum, dass Deutschland Milliarden nach Frankreich schickt, sondern um einen engen Austausch zwischen beiden Regierungen. Zudem müssen gemeinsame Initiativen entwickelt werden, um Europa voranzubringen. Die letzten großen Fortschritte in Europa gab es unter Mitterrand und Kohl mit Jacques Delors als Kommissionschef in Brüssel in den 80er und 90er Jahren.

Was könnten denn deutsch-französische Initiativen sein?

Grosser: Es müsste mehr übernationale Möglichkeiten in diesem Europa geben. In Brüssel haben doch meist nur die Mitgliedstaaten etwas zu sagen. Ich könnte mir vorstellen, dass sich die Staaten darauf einigen, wer der Chef der Kommission wird und der darf sich dann seine Kommission zusammenstellen. Zu bestätigen durch das Europäische Parlament. Seit dem Vertrag von Nizza werden die Kommissare von ihren Ländern bestimmt. Daraus folgt: Sie sind Vertreter ihrer Länder und keine echten EU-Kommissare. Wenn eine solide deutsch-französische Basis da ist, ist in Europa vieles möglich.

In welchem Zustand befindet sich das deutsch-französische Verhältnis zurzeit?

Grosser: In einem sehr guten. In der Infrastruktur, also bei Forschung, im Jugendaustausch, auf vielen anderen Gebieten ist alles wunderbar und oben in der Regierung geht es besser als früher. Deshalb bin ich optimistisch.

Wie beurteilen Sie, was die Kanzlerin jüngst angestoßen hat, dass Europa sehr viel stärker für sich stehen muss?

Grosser: Das zeigt, dass Trump einen guten Effekt für Europa hat.

Wie meinen Sie das?

Grosser: Ich mache gern einen Vergleich, der ein bisschen übertrieben ist: Trump spielt die Rolle von Stalin in den 50er Jahren. Ohne Stalin hätte es keine Einbeziehung Deutschlands in die europäischen Strukturen gegeben. Natürlich ist er nicht so gefährlich, aber wenn er wieder Protektionismus einführt, ist das für alle Seiten katastrophal, für Amerika zuerst.

Trump als Katalysator für eine weitere Integration Europas?

Grosser: So sehe ich das.

Wird es zwischen Europa und den USA dauerhaft zu einer Entfremdung kommen?

Grosser: Keine Ahnung, weil Trump selbst heute noch nicht weiß, was er morgen sagen wird. Das ist ein großes Problem. Er liest ja nicht einmal das, was ihm vorgelegt wird. Er ist weitgehend ein Psychopath.

Ist es richtig, dass Europa mehr die wirtschaftliche Verständigung mit China, Indien oder auch Russland sucht?

Grosser: Das ist sehr sinnvoll. Allerdings muss man immer auch überlegen, dass man dadurch auch bestätigt, was undemokratisch ist. Es arbeiten immer noch Hunderttausende Chinesen in Lagern, ohne dass sie dafür Geld bekommen. Dadurch sind die Produkte natürlich billig.

Was erwarten sich die Franzosen von der Bundestagswahl?

Grosser: Man hofft auf Frau Merkel, sie ist nicht nur bekannt, sondern auch beliebt. Es wird in Deutschland unterschätzt, wie Merkels Politik in Bezug auf die Flüchtlinge in Frankreich bewundert wird. Die Zeitung „Libération“ zum Beispiel hat sie zuerst mit Pickelhaube und später mit Heiligenschein dargestellt. Frau Merkel hat moralisch gehandelt, als sie gesagt hat, Europa ist eine Verantwortungsgemeinschaft, und die Flüchtlinge aufgenommen hat.

Glauben Sie, dass die AfD einen ähnlichen Weg machen wird wie die Front National in Frankreich?

Grosser: Nein. Die Bundesrepublik hat das Glück, die Vergangenheit hinter sich gelassen zu haben. Das bremst die extreme Rechte. Die AfD wird daher niemals, wie Madame Le Pen, 20 Millionen Stimmen bekommen. Sie haben in Deutschland zum Glück Menschen wie Kardinal Marx, der gesagt hat, man kann nicht zugleich katholisch und fremdenfeindlich sein. Das ist der Unterschied: Wir haben in Frankreich leider um die zwei Millionen extreme rechte Katholiken, die in meinen Augen keine Christen sind.

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