Religion „Es begab sich aber zu der Zeit...“

Bonn · Mit einer revidierten Lutherbibel und der neuen katholischen Einheitsübersetzung setzen die Konfessionen sprachliche und wissenschaftliche Akzente. Von einem ökumenischen Ansatz sind sie weit entfernt.

 Lutherbibel, Ausgabe 1524, gedruckt bei Friedrich Peypus in Nürnberg. Das Exponat ist Teil einer feinen Weihnachtsausstellung im Siebengebirgsmuseum Königswinter.

Lutherbibel, Ausgabe 1524, gedruckt bei Friedrich Peypus in Nürnberg. Das Exponat ist Teil einer feinen Weihnachtsausstellung im Siebengebirgsmuseum Königswinter.

Foto: Frank Homann

Die Bibelübersetzung ist eine große Mühe“, ist aus Martin Luthers Tischreden überliefert, „wir haben viel Öl dabei verbraucht. Es werden aber etliche sein, die es werden besser wollen wissen denn wir, aber nicht besser machen.“ Sehr selbstbewusst, der Reformator. Im Original beginnt die Weihnachtsgeschichte nach Lukas in Luthers Übersetzung „Das Newe Testament Deutzsch“ (1522) so: „Es begab sich aber zu der zeytt, das eyn gepott von dem keyser Augustus aus gieng, das alle wellt geschetzt wurde, vnd dise schetzung war die aller erste, vnd geschach zur zeytt, da Kyrenios landpfleger yn Sirien war...“ 1545 erscheint Luthers „Biblia Deutsch“. Textprobe: „Es begab sich aber zu der zeit / Das ein Gebot von dem Keiser Augusto ausgieng / Das alle Welt geschetzt1 würde. Vnd diese Schatzung war die allererste / vnd geschach zur zeit / da Kyrenius Landpfleger in Syrien war...“

Im 20. Jahrhundert gab es 1912, 1975 und 1984 kirchenamtliche „Revisionen“. Vor dem Reformationsjubiläum 2017 folgt nun die aktuelle Übersetzung. Auch die katholische Einheitsübersetzung liegt in einer neuen Fassung vor und ist seit wenigen Tagen auf dem Markt. Fünf Jahre lang haben 70 Theologinnen und Theologen an der Revision der Lutherbibel gearbeitet, was einerseits die Überprüfung des Textes anhand der hebräischen und griechischen Urtexte bedeutete, andererseits als Revision früherer Revisionen ablief, schließlich eine Annäherung an die kernige Sprache des Reformators und die Fassung von 1545 versuchte. 40 Prozent der Verse im Alten und Neuen Testament wurden geändert. Bei der Einheitsübersetzung kamen unter anderem etliche Psalmen auf den Prüfstand.

Während sich die Lutherbibel wieder der Sprache des Reformators annähert und sich im Anhang ausführlich der Reformation widmet, somit die Position evangelischer Menschen eher festigt, birgt die katholische Übersetzung einigen theologischen Sprengstoff. So dürfte die Anmerkung zur Prophezeiung in Jesaja 7,14, bei der erwähnten „Jungfrau“ handle es sich um die Übersetzung des Hebräischen almáh, was „eigentlich junge Frau heißt“, für Irritationen sorgen, soll diese Stelle doch die Jungfräulichkeit Mariens belegen. Ferner wurde im Römerbrief der Apostel „Junias“ in „Junia“ korrigiert. Es gab also auch weibliche Apostel, was manchen in der Kirche hellhörig machen könnte. Und in den Paulusbriefen wird nicht mehr nur von Brüdern, sondern von „Brüdern und Schwestern“ gesprochen. Der Journalist Lucas Wiegemann zitiert in der „Welt“ den für die Revision zuständigen Vorstandsvorsitzenden des Katholischen Bibelwerks, Michael Theobald: „Mit vielen Korrekturen kehrt wieder ein Stück Fremdheit und Frische der jahrtausendealten Urtexte zurück, was gut ist, denn so hält sie die Leser zu Fragen an und fordert sie heraus.“

Anfang Dezember veranstalteten Martin Bock von der evangelischen Melanchthon-Akademie und Bernd Wacker von der katholischen Karl Rahner Akademie gemeinsam mit dem Verein „Bibel in gerechter Sprache“ eine Tagung in Köln. Die Tagung kreiste nicht nur um die Lutherbibel und die Einheitsübersetzung, sondern auch um andere Fassungen, etwa die nicht unumstrittene, einem eher ökumenischen Ansatz folgende „Bibel in gerechter Sprache“ (vierte Auflage 2014), in die etwa Gedanken der feministischen Theologie, des jüdisch-christlichen Dialogs und der Befreiungstheologie einflossen. Eine der Hauptfragen der Tagung war: „Was bedeutet die jeweilige Version für die innerchristliche Ökumene, und was trägt sie dazu bei, das Evangelium in dieser Zeit und Gesellschaft glaubhaft verkünden zu können?“

Für Wacker, der wie Bock eine konfessionelle Stadtakademie leitet, ist das fast gleichzeitige Erscheinen einer evangelischen und einer katholischen Bibelübersetzung ein ambivalentes Signal, denn die ursprünglich geplante gemeinsame Übersetzung kam nicht zustande. So stamme die jetzt wieder betonte, deutliche Sprache Luthers, so Bock, aus Zeiten, in denen sich die großen Kirchen mit einer konfessionellen und geistlichen Eigenwelt eher voneinander abgrenzten. „Vielleicht kommen die Kirchen ja bald überein, die beiden Übersetzungen gegenseitig für den Gebrauch in Schule, Katechese und Gottesdienst zu akzeptieren“, hofft Wacker. „Die Revision steht ganz klar unter dem Vorzeichen, dass die Sprache von Luther und Melanchthon unter einen gewissen 'Denkmalschutz' gestellt wird“, sagt Bock augenzwinkernd, „die Übersetzung setzt auf Wiedererkennbarkeit von Luthers literarischer Leistung und der kulturellen Geschichte, die seine Übersetzung ausgelöst hat.“ Die bei der Kölner Tagung auch diskutierte Frage sei aber ebenso gewesen: „Wer nimmt das heute noch wahr, wer erkennt das wieder?“. Gleichwohl hebt Bock die große exegetische Leistung bei beiden Neuübersetzungen hervor, mit einem Hauch von Kritik: „Die wissenschaftliche Redlichkeit, die dahinter steckt, ist eher bescheiden dokumentiert worden.“ So seien die Erklärungen zu dem, was sich etwa als Konsequenz des jüdisch-christlichen Dialogs geändert habe, insbesondere in der Lutherbibel spärlich, „was für eine Kirche der Reformation problematisch ist“. Vorbildlich sei in diesem Zusammenhang die „Bibel in gerechter Sprache“, die ihre Kriterien sehr deutlich mache, „sie spielt mit offenen Karten“.

Es gibt nach wie vor Defizite. „Wie reden wir angemessen von Gott?“, fragt etwa Wacker. Die Wiedergabe des biblischen Gottesnamens ausschließlich, in der männlichen Form „HERR“ sei letztlich unbefriedigend. „Gott hat kein Geschlecht.“ Bock zitiert die ehemalige Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter: „Die Bibel darf nicht wie eine Beruhigungspille vor dem Einschlafen wirken, sie muss uns beunruhigen und aufrütteln.“ Natürlich solle die Bibel auch trösten, sagt Bock, „aber trösten ist etwas anderes als beruhigen“. Daher müsse man die Pluralität zulassen.

Bock erinnert an die Bibelübersetzung des Humanisten Erasmus von Rotterdam, auf die sich auch Luther bezog. Dort kommt Erasmus zu dem Schluss, den Beginn des Johannesevangeliums mit: „Im Anfang war die Rede“, der Sermon, der Diskurs, zu übersetzen. Luther machte daraus „das Wort“. Luther habe mit Erasmus verstanden, dass es ums Mündliche und Lebendige, nicht um das festgehaltene Wort ging. Und damit auch um Pluralität: „Bibelauslegung ist Auseinandersetzung, Diskurs“, erklärt Bock.

In der jüdischen Bibel stehe in der Mitte der Text, darum herum stünden die Ergänzungen, der Leser müsse in den Dialog einsteigen, das Gespräch suchen. „Ich bin nicht der erste, der das liest, und nicht der letzte. Ich wünsche mir, dass unsere christliche Bibel den Diskurs über den Text fördert, der eigentlich eine Rede ist, zu der meine Rede auch dazugehört.“ Er plädiert für eine Erklärungsbibel mit Leerräumen, Spielräumen, Raum zum Widerspruch.

Bock blickt zuversichtlich in das Jubiläumsjahr: „Wir haben alle Grund dazu, stolz zu sein, dass kein Reformationsjubiläum so ökumenisch inszeniert und kommentiert wird wie dieses, die Lutherikone steht zwar im Vordergrund, aber die katholische Kirche hat ihren Weg gefunden, damit umzugehen.“ Luther werde heute nicht mehr antikatholisch wahrgenommen, die Bibelübersetzung und die reformatorischen Leistungen werden, so Bock, in einem Kontext gesehen. Einheitsübersetzung oder Lutherbibel – es bleibe, so Wacker, eine entscheidende Frage: „Wie bringen wir die Menschen überhaupt dazu, die Bibel aufzuschlagen?“

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