Interview mit Martin Schulz „Diese populistische Welle wird brechen“

Bonn · EU-Parlamentspräsident Martin Schulz spricht im GA-Interview über den Wahlerfolg von Donald Trump in den USA, die Folgen für die Politik in Europa, die Krise der EU und seine Ambitionen in der Bundespolitik. Mit Schulz sprach Bernd Eyermann.

 „Wir entscheiden in Brüssel und Straßburg sehr viel, sind aber am weitesten weg von allen anderen“, sagt Martin Schulz am Freitagabend im Alten Bonner Rathaus beim GA-Interview.

„Wir entscheiden in Brüssel und Straßburg sehr viel, sind aber am weitesten weg von allen anderen“, sagt Martin Schulz am Freitagabend im Alten Bonner Rathaus beim GA-Interview.

Foto: Andreas Dyck

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat jüngst gesagt: Wir werden Donald Trump kennenlernen, er wird aber auch uns kennenlernen. Was kann der künftige US-Präsident von der EU lernen?

Martin Schulz: Wir sind eine Wertegemeinschaft. Staaten und Nationen haben sich entschieden, über Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten – und zwar auf der Grundlage von Prinzipien wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Respekt und Toleranz gegenüber Minderheiten. Was wir im US-Wahlkampf gesehen haben, war häufig das genaue Gegenteil. Deshalb hoffen wir, dass der neue Präsident ein anderer ist als der Wahlkämpfer.

Was kann er von der EU erwarten?

Schulz: Dass wir ihn in seinem Amt respektieren. Aber wir können auch erwarten, dass er uns und unsere Grundwerte respektiert. Wenn wir es nicht schaffen, dass die beiden großen demokratischen Blöcke der Welt eng kooperieren, dann ist das für die Welt nicht gut.

Glauben Sie, dass sich Trump an diesen Grundwerten orientiert?

Schulz: Das müssen wir abwarten.

Haben Sie Hoffnung?

Schulz: Doch. Und da verweise ich gern auf die amerikanische Verfassung, die sehr freiheitlich und auf individuelle Grundrechte orientiert ist. Deshalb glaube ich, dass am Ende das System der USA jeden Präsidenten einrahmt.

Woran machen Sie das fest?

Schulz: Ich bin sicher, das berühmte amerikanische System der „checks and balances“ wird funktionieren. Im Senat haben die Republikaner zwar die Mehrheit, aber unter den republikanischen Senatoren ist zum Beispiel John McCain, ein Vietnamveteran, dessen Heldenmut Trump im Wahlkampf infrage gestellt hat. Oder nehmen Sie Marco Rubio, Trumps innerparteilichen Gegenkandidaten, der in Florida wiedergewählt worden ist. Mit denen wird er sich auseinandersetzen und Kompromisse machen müssen. Trump wird auch sehr wohl wissen, dass die Mehrheit der Amerikaner ihn nicht gewählt hat. Auch darauf wird er Rücksicht nehmen müssen.

Sie haben gesagt, Trumps Sieg sei Ausdruck einer weltweiten Protestwelle gegen die etablierte Politik. Wie wollen Sie den Menschen in Europa die etablierte Politik wieder näherbringen?

Schulz: Wir müssen wieder lernen, in der Zeit der Globalisierung auch lokal und regional und nicht nur global zu denken. Eines ist mir ganz wichtig: Wir führen Debatten, in denen es immer nur um Milliarden Euro geht. Für die ganz große Mehrheit der Menschen sind die Bezugsgröße aber 1000 Euro, für sie sind 1000 Euro Haben oder Nichthaben eine Frage des Überlebens. Sicherlich müssen wir auch in Milliarden denken, weil es in den Staatshaushalten darum geht, aber für den Bürger geht es um 1000 Euro. Deshalb müssen wir den Spieß umdrehen. Die Menschen müssen das Gefühl haben: Alles, was die Politik tut, dreht sich zunächst um meine 1000 Euro. Dann erlauben sie uns auch am Ende, in Milliarden zu denken.

Welchen Auftrag leiten Sie daraus ab?

Schulz: Wir müssen in den Mittelpunkt des politischen Handelns von der Kommune bis Europa die Frage stellen: Wie managen wir die Globalisierung und rücken dabei das Schicksal des einzelnen Menschen ins Zentrum? Wenn die Menschen wieder das Gefühl bekommen, das tun die, dann gewinnen die Institutionen auch wieder das Vertrauen zurück.

Im Dezember ist die Präsidentenwahl in Österreich, im Frühjahr wird in Holland und Frankreich gewählt. Was erwarten Sie davon?

Schulz: Natürlich lassen alle Rechtsextremisten und -populisten in Europa die Champagnerkorken knallen, weil sie glauben, Trumps Sieg gäbe ihnen Rückenwind. Diesen Populisten müssen wir uns viel mehr als bisher vehement entgegenstellen. Zudem vergessen sie in ihrer Freude über Trumps Sieg, dass wir ganz andere Wahlsysteme haben. In Frankreich hat Marine Le Pen zwischen 20 und 25 Prozent, das heißt 75 bis 80 Prozent aller Franzosen sind gegen sie. Es kann sein, dass sie in den zweiten Wahlgang kommt, aber da wird sie sicherlich nicht gewinnen können. Ich glaube, dass sich diese populistische Welle irgendwann brechen wird. Wir dürfen etwas anderes nicht unterschätzen.

Was meinen Sie?

Schulz: Die Globalisierung zeitigt ein anderes Phänomen: die Urbanisierung. Beim Brexit und bei der US-Wahl war zu erkennen, dass in den urbanen Zentren ganz anders gewählt wurde als auf dem Land. 80 Prozent der Londoner wollten in der EU bleiben, die Mehrheit auf dem Land wollte raus.

Was heißt das für Sie?

Schulz: In den weltoffenen, vibrierenden, heterogenen, liberalen Städten wird zwar das Bild unserer Gesellschaften geprägt, aber die ländlichen Gebiete gibt es ja weiterhin. Dort fließen die Investitionen ab, von dort gehen die jungen Leute weg und plötzlich gibt es dort Regionen mit überalterter Bevölkerung und geringer Wirtschaftskraft, wo man 30 Kilometer bis zum nächsten Arzt fahren muss und in denen die Menschen die Kultur der Städter nicht mehr verstehen. Wir haben es mit einem Stadt-Land- und einem Generationenkonflikt zu tun. Die Globalisierung und deren Effekt der Urbanisierung dürfen nicht dazu führen, dass wir glauben, die Welt bestünde nur aus Städten. Die Menschen auf dem Land müssen genauso ernst genommen und respektiert werden.

Die EU steckt nicht erst seit dem Brexit in der Krise. Sie haben gesagt, die EU muss handlungsfähiger werden. Wie kann das geschehen?

Schulz: Wir brauchen eine tiefgehende Debatte um eine Kompetenzordnung in Europa. Was du lokal machen kannst, musst du da machen. Je näher eine Entscheidungsfindung beim Bürger stattfindet, desto höher die Akzeptanz. Wir entscheiden in Brüssel und Straßburg sehr viel, sind aber am weitesten weg von allen anderen.

Ein Beispiel?

Schulz: Wir haben das Millenniumsziel, den Wasserverbrauch zu reduzieren. Jetzt kann man EU-weit einheitliche Wasserspülungen fordern. Man kann aber auch sagen, die EU hat ein gemeinsames Ziel, jedes Land hat sein Ziel zu erfüllen, aber wie das Ziel erreicht wird, machen wir lokal. Der Wasserverband Eifel-Rur oder der Wahnbachtalsperrenverband kennen das Wassermanagement im mittleren Rheinland besser als die EU-Kommission in Brüssel. Das müssen wir vor Ort regeln, und so können wir Menschen an der Basis mitnehmen.

Sie kennen die Kommunalpolitik, sind seit Jahren in der Europapolitik. Da hätten Sie doch bestimmt auch Spaß in der Bundespolitik.

Schulz: Ich bin das dienstälteste Mitglied des SPD-Präsidiums, sitze dort seit 2000. Im Parteivorstand bin ich sogar schon seit 1999.

Wollen Sie damit sagen, das hat kaum einer mitbekommen?

Schulz: Ich will damit nur sagen, dass ich jetzt schon in der deutschen Politik mitmische. Ein deutscher Präsident des Europäischen Parlaments ist automatisch auch ein nationaler Politiker.

Der demnächst noch stärker in der Bundespolitik präsent sein wird?

Schulz: Da halte ich es mit Angela Merkel: Das werden wir zum gegebenen Zeitpunkt beantworten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Lauterbachs Gesetz führt zu Chaos
Kommentar zu den Folgen der Cannabis-Legalisierung Lauterbachs Gesetz führt zu Chaos
Aus dem Ressort
Dicke Bretter
Kommentar zum Grünen-Bundesparteitag Dicke Bretter