Interview mit CDU-Vorsitzenden Volker Kauder „Das Terrorabwehrzentrum ist nicht optimal“

Bonn · Volker Kauder, Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag, spricht im GA-Interview über Terrorabwehr, Zuwanderung und Donald Trump.

 In der Flüchtlingsfrage ist nicht alles hundertprozentig geglückt, findet Volker Kauder. Mittlerweile sind die Aufnahmeprozesse allerdings justiert worden. In der Erstaufnahmestelle in Suhl etwa müssen Neuankömmlinge wie der Eritreer Filimon ihre Fingerabdrücke abgeben.

In der Flüchtlingsfrage ist nicht alles hundertprozentig geglückt, findet Volker Kauder. Mittlerweile sind die Aufnahmeprozesse allerdings justiert worden. In der Erstaufnahmestelle in Suhl etwa müssen Neuankömmlinge wie der Eritreer Filimon ihre Fingerabdrücke abgeben.

Foto: dpa

Union und SPD scheinen sich bei der Sicherheit mit Konzepten überbieten zu wollen. Kann das im Sinne der Bürger sein?

Volker Kauder: Nach einem schockierenden Terroranschlag wie dem vor Weihnachten in Berlin ist es geboten, dass sich die politisch Verantwortlichen in allen Parteien über die Konsequenzen Gedanken machen. Zuerst ist natürlich die Regierung gefragt. Ich begrüße es sehr, dass sich der Bundesinnenminister und der Bundesjustizminister auf Maßnahmen geeinigt haben, um künftig besser gegen sogenannte Gefährder vorgehen zu können – also gegen solche Personen, die im Verdacht stehen, Terroranschläge begehen zu können.

Beim Fall Amri haben sich die Behörden offenbar nicht gut genug abgesprochen. Brauchen wir klarere Entscheidungswege?

Kauder: Auch nach der Einigung der Minister muss weiter geprüft werden, wie es zu der Fehleinschätzung gekommen ist, Amri nicht weiter zu beobachten. Es gibt eine Reihe von möglichen Versäumnissen. Der Mann ist ja schließlich auch einmal in Baden-Württemberg aufgegriffen worden, obwohl er in Nordrhein-Westfalen hätte sein müssen. Alle Beteiligten – die Länder, aber auch der Bund – müssen aus dem Fall ihre Schlüsse ziehen.

Wie beurteilen Sie den Vorschlag von Innenminister Thomas de Maizière für eine neue Sicherheitsarchitektur in Deutschland?

Kauder: Der Vorschlag ist richtig und muss weiter diskutiert werden. Wir müssen uns vor dem Hintergrund des islamistischen Terrors die grundsätzliche Frage stellen: Mit welcher Struktur können wir die besten Ergebnisse im Sinne der Sicherheit für die Bürger erzielen? Der Föderalismus hat durchaus seine Vorzüge. Er darf aber kein Selbstzweck sein. Schon die Ermittlungen zur beispiellosen Mordserie der rechten NSU haben Schwachstellen in der Zusammenarbeit von Bund und Ländern und vor allem der Länder untereinander offenbart. Erste Konsequenzen wurden gezogen. Aber reichen die aus?

Die Länder verstehen den Vorschlag als Angriff auf den Föderalismus.

Kauder: Es gibt Bereiche, die besser in der Hoheit der Länder bleiben sollten. Aber es gibt Fälle wie die Terrorismusbekämpfung, bei dem ein Land allein überfordert ist. Darum wurde auch das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum gegründet. In der Einrichtung, das muss man wissen, hat aber eigentlich niemand das Sagen, wie mit einem bestimmten Terrorverdächtigen umgegangen werden soll. Ich halte das nicht für optimal.

Im Terrorabwehrzentrum saßen alle an einem Tisch und sind zu der fatalen Einschätzung gekommen, dass Amri nicht gefährlich ist.

Kauder: Es muss vorurteilsfrei geklärt werden, was schiefgelaufen ist. Und eines muss auch künftig gewährleistet sein: Die Polizei und die Sicherheitsbehörden in Deutschland müssen schnell technisch so ausgerüstet werden, dass sie problemlos Daten austauschen können, soweit dies rechtlich zulässig ist.

Glauben Sie, dass bis September noch Entscheidungen zustande kommen?

Kauder: Nach der Einigung der Minister gibt es nun eine Grundlage, zügig das Gesetzgebungsverfahren zu beginnen, um Gefährdern besser begegnen zu können. An uns soll es nicht liegen.

Sie haben ja derzeit große Mehrheiten. Der Zeitpunkt scheint günstig.

Kauder: Stimmt.

So richtig viel Grundlegendes haben Sie aus der großen Mehrheit aber bisher nicht gemacht.

Kauder: Im Gegenteil: Wir haben die Sicherheitsgesetze bereits in vielen Punkten geschärft, insbesondere mit Blick auf die Bekämpfung des islamistischen Terrors. Wir haben die sogenannte Vorratsdatenspeicherung reaktiviert. Insbesondere stellt der Bund bei den Sicherheitsbehörden – vor allem bei der Bundespolizei – bis 2020 rund 10 000 neue Mitarbeiter ein. Wir von der Union hätten gern noch mehr getan. Das war aber leider mit der SPD nicht zu machen. Manche Einsicht bei der SPD ist spät gekommen.

Wie spüren Sie die zunehmende Verunsicherung bei den Bürgern?

Kauder: Die Verunsicherung, von der Sie sprechen, hat viele Gründe. Objektiv ist ein Grund auch die zunehmende Zahl von Wohnungseinbrüchen. Dieses Phänomen ist in vielen Bundesländern zu lange vernachlässigt worden. Gerade in Nordrhein-Westfalen. Es muss hier mehr Polizei in diesem Bereich eingesetzt werden. Die Bürger können aber auch etwas für den passiven Einbruchsschutz tun. Der Bund stellt Zuschüsse bereit, um Türen und Fenster besser zu sichern. Das Budget soll weiter erhöht werden. Das war erfolgreich, denn die Zahl der abgebrochenen Einbruchsversuche nimmt zu.

Entdeckte Einbrecher werden aber oft schnell wieder freigelassen. Das ärgert die Bürger.

Kauder: Oft geschieht das, weil die Justiz überlastet ist und sich auch nicht richtig auf die Wohnungseinbrüche konzentrieren kann. Deshalb brauchen wir eine ausreichende Zahl von Staatsanwälten und Richtern. Ich wünsche mir, dass mancher Prozess viel schneller läuft. Wenn die Strafe unmittelbar auf dem Fuße folgt, hat das eine größere Wirkung, als wenn Monate darüber hinweggehen.

Viele Bürger machen sich Sorgen, dass der Staat das Flüchtlingsproblem nicht in den Griff bekommt und das Mantra „Wir schaffen das“ nicht erfüllen kann.

Kauder: 2015 war ein außergewöhnlich schwieriges Jahr mit 890 000 Zuwanderern. Wir haben im September 2015 eine humanitäre Katastrophe vermeiden müssen. Die wäre eingetreten, wenn Deutschland nicht bereit gewesen wäre, Flüchtlinge gerade aus Ungarn aufzunehmen. Das war eine richtige Entscheidung der Bundeskanzlerin. Es war ein Zeichen der Humanität.

Andere sprechen von Masseneinwanderung.

Kauder: Dass in dieser Phase nicht alles hundertprozentig lief und vieles nachgebessert werden musste, ist natürlich auch richtig. Durch eine großartige Bereitschaft der Bevölkerung zu helfen und eine gute Arbeit des Staates können wir jetzt sagen: Die Menschen konnten versorgt werden. Sie sind registriert, und ihre Identität ist aufgenommen. Wir haben in Deutschland gezeigt, dass wir mit dieser Aufgabe fertig werden können. Dafür werden wir auf der Welt auch bewundert. Jetzt kommt die viel schwierigere Aufgabe der Integration.

Was spricht eigentlich gegen die CSU-Forderung nach einer Obergrenze?

Kauder: Das Asylrecht ist ein Individualrecht. Jeder, der hier Asyl beantragt, hat ein Recht auf ein Verfahren und kann auch nicht so einfach zurückgeschickt werden. Genau dieses Versprechen, dass man Asylbewerber an der Grenze einfach abweisen kann, wird aber gegeben, wenn eine Obergrenze versprochen wird. Aber wir haben doch heute eine völlig andere Lage als im Herbst 2015. Es kommen heute durch die ergriffenen Maßnahmen im Schnitt der vergangenen Monate ungefähr 20 000 Menschen zu uns, aber eben keine 100 000 Personen. Das ist Folge der Politik, den Flüchtlingszustrom durch viele Maßnahmen, unter anderem das Abkommen mit der Türkei, zu begrenzen. Deshalb verstehe ich die Diskussion über die Obergrenze nicht.

Was folgern Sie daraus?

Kauder: Ich rate dazu, über die Themen zu reden, die jetzt anstehen: die Integration, den grundlegenden Wandel in der Wirtschaft durch das Internet und die immer schnellere Informationstechnik. Große Sorge macht mir, dass wir in Deutschland bei allen internationalen Vergleichstests in der Bildung bestenfalls stagnieren. Unser einziger Rohstoff ist der Kopf der Menschen und ihr Wissen. Wer nichts im Boden hat, muss es in der Birne haben.

Zurück zur Obergrenze: Kann es sich die Union leisten, einen Wahlkampf zu führen, bei dem die CSU auf dem Begriff besteht und die CDU davon nichts wissen will?

Kauder: Vor vier Jahren hatten wir ein gemeinsames Wahlprogramm, darüber hinaus einen Bayernplan, in dem zusätzliche Positionen der CSU standen. Damit können wir in der Union leben.

Welche Koalition wünschen Sie sich nach der Wahl?

Kauder: Die Koalitionsbildung steht jetzt nicht an. Unser Ziel ist, dass gegen uns keine Regierung gebildet werden kann und Angela Merkel die Bundeskanzlerin bleibt.

Wie groß ist Ihre Sorge vor der Politik des künftigen US-Präsidenten Donald Trump? Bei den ganzen Verunsicherungen um uns herum ist Europa doch ein Hort des Friedens. Das wissen die meisten Menschen. Aber darüber müssen wir mehr reden.

Kauder: Ich bin mir noch nicht sicher, ob nicht doch das Amt den Menschen prägen wird. Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Mir macht Sorge, was der künftige Präsident zur Industriepolitik sagt. Das sind für unsere Automobilindustrie keine guten Aussichten. Richtig ist, dass Europa mehr tun muss für seine eigene Sicherheit. Ich wünsche mir aber, dass wir in der Nato zu gemeinsamen Überzeugungen kommen – mit den USA. Russland trägt eine große Verantwortung für die Ukrainekrise. Ich hoffe, dass Trump zu der Erkenntnis auch kommt.

Kann Europa mehr für seine Sicherheit tun?

Kauder: Europa ist ja derzeit nicht in allen Bereichen in einem guten Zustand. Auch für seine Sicherheit könnte die Union mehr tun.

Ist die Regierung zwischen Bonn und Berlin gut aufgeteilt oder muss es Veränderungen geben?

Kauder: Wir haben das Bonn/Berlin-Gesetz mit klaren Formulierungen. Daran halten wir uns. Wir müssen der Bundesstadt Bonn zeigen, dass wir für die Zeit, in der sie für die Bundespolitik Heimat war, nach wie vor dauerhaft dankbar sind.

Sie sind jenseits der Rentengrenze, kandidieren auch wieder. Gibt es für sie ein Leben nach der Politik?

Kauder: Es gibt für mich seit langer Zeit ein Leben mit der Politik. Ich gehe neben meiner Tätigkeit ins Theater oder in Konzerte, ich lese Bücher. Ich lebe gut damit, nicht zu trennen zwischen Leben in der Arbeit und Leben nach der Arbeit. Im Übrigen müssen wir uns darauf einstellen, dass wir alle länger arbeiten müssen.

Wollen Sie auch in der nächsten Wahlperiode wieder Fraktionschef werden?

Kauder: Wenn es geht, ja. Aber jetzt müssen wir erst einmal unsere Arbeit in der restlichen Legislaturperiode machen und dann im Wahlkampf erfolgreich sein.

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