Interview mit Frank Bösch „Das Kanzleramt muss noch erforscht werden“

BONN · Im Auftrag der Bundesregierung haben das Institut für Zeitgeschichte und das Zentrum für Zeithistorische Forschung eine Bestandsaufnahme der Studien zur NS-Geschichte von Bundesministerien und Behörden der Bundesrepublik Deutschland und der DDR erstellt. GA-Volontär Fabian Vöglte sprach mit Frank Bösch, der derzeit die Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Innenministeriums leitet.

Warum werden die Verstrickungen von deutschen Ministerien und Behörden im Nationalsozialismus und ihre Rolle in der Nachkriegszeit erst seit einigen Jahren aufgearbeitet?
Frank Bösch: Offensichtlich war ein generationeller Abstand nötig, da viele Mitarbeiter die Belasteten noch kannten. Eine zeitliche Distanz war auch bei der Freigabe von Personalakten erforderlich. Zudem ist in den letzten Jahren, auch nach der Aufarbeitung der DDR-Geschichte, ein öffentlicher Druck auf die Ministerien entstanden, nachdem Wirtschaftsunternehmen ihre NS-Geschichte bereits von unabhängigen Historikern unter die Lupe nehmen ließen. Und schließlich gibt es auch bei Historikern ein neues Interesse an der Funktionsweise und Macht von Institutionen.

Welche Institutionen sind laut Zwischenbericht am stärksten von Nazis belastet gewesen und wo lassen sich am ehesten personelle Kontinuitäten in den 1950er-Jahren erkennen?
Bösch: Bisher liegen ja nur einzelne Studien vor. Viele ehemalige NSDAP- und SA-Mitglieder fanden sich etwa beim Bundeskriminalamt, die sich jedoch rasch an die Demokratie anpassten. Beim Auswärtigen Amt und besonders beim Justizministerium war die Personalkontinuität sehr groß. Beim Innenministerium kamen nur wenige Mitarbeiter aus dem vorherigen Reisinnenministerium, dafür waren Ende der 1950er Jahre dort 66 Prozent vormals in der NSDAP. Den Grad der Belastung prüfen wir jetzt jedoch gerade erst, ebenso deren mögliche Auswirkung auf das politische Handeln.

Wo sehen Sie in Zukunft noch Aufarbeitungs-Bedarf?
Bösch: Die großen Häuser müssen auf alle Fälle noch in Einzelstudien genau erforscht werden. Das Kanzleramt, der Bundestag und auch die Volkskammer sowie einzelne DDR-Institutionen. Nötig ist dafür sowohl eine finanzielle Unterstützung als auch eine umfassende Aktenfreigabe.

Wie versuchen Historiker und untersuchte Institutionen nach dem Ende der Forschungsprojekte die eigene Geschichte weiterhin öffentlich zugänglich zu machen?
Bösch: Es gibt zu jeder Studie ein publikumswirksames Buch und weitere Veröffentlichungen. Alle Kommissionen präsentieren ihre Ergebnisse über die Medien und durch öffentliche Veranstaltungen. Bei unserer Studie zum Innenministerium erarbeiten Studenten in einem Projekt eine Online-Präsentation und Ausstellung. Das öffentliche Interesse an den Ergebnissen ist durchweg sehr hoch.

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