Kommentar zu den Folgen des Brexit Wie ein Bumerang

Meinung | London · Die Briten sind berühmt für ihren "common sense", ihren gesunden Menschenverstand. In normalen Zeiten hätte dieser sicher besagt, dass die Welt derzeit mit so vielen Problemen zu kämpfen hat, dass man sich ohne Not nicht noch eines selbst zulegen muss - geschweige denn eines, das das Königreich auf Jahre hinaus beschäftigen wird.

Der Brexit darf getrost als solches Problem bezeichnet werden. Ihn abzuwickeln, neue Abkommen einzugehen und dabei den Wohlstand und die Sicherheit des Königreichs zu garantieren, gleicht einer Herkulesaufgabe. Das britische Volk hat sich selbst in die Krise gestürzt. Leider ging die Vernunft bei den sonst so rationalen Briten in dem Geschrei um Bananen-Regularien, in der Anti-Zuwanderungs-Propaganda und der Hysterie um fehlende Souveränität verloren. Am Freitag sind zahlreiche Menschen im wahrsten Sinne des Wortes aufgewacht. Plötzlich wimmelte es in den sozialen Medien vor Menschen, die ihr "Leave"-Votum bereuten.

Es ist zu spät. Die Reaktion einiger Brexit-Wähler schreit zudem vor Naivität. Es überrascht nicht, dass die Wut und Frustration der Europafreunde groß ist. Gleichwohl haben viele Menschen erst jetzt erkannt, dass dieses Referendum reichlich ungeeignet war, der Politik eins auszuwischen.

Nun könnte die Entscheidung wie ein Bumerang zurückschnellen und ausgerechnet die Protestwähler treffen - jene Menschen, die sich von Globalisierung und Immigration überrumpelt und von der Regierung im Stich gelassen fühlen. Jene Menschen, die aus Angst vor Jobverlust die Versprechen glaubten, die sowohl die Fliegenfänger der rechtspopulistischen Partei Ukip herausposaunten als auch aus dem Munde zahlreicher Konservativer sowie Sozialdemokraten kamen.

Großbritannien hat eine demokratische Entscheidung gefällt, nun muss es nicht nur damit leben, sondern sollte schnellstmöglich einen Plan für das weitere Vorgehen erstellen. Es gilt, das Beste aus der Situation zu machen.

Doch leider steckt das Polit-Establishment in einer Schockstarre, in der Labour-Partei läuft eine Revolte gegen den Vorsitzenden Jeremy Corbyn und der Schatten-Außenminister Hilary Benn wurde gefeuert. In den Tumulten ging fast die Tatsache unter, dass alle diejenigen, die für den Brexit lautstark trommelten, an diesem Wochenende abgetaucht waren. Wo versteckten sich Boris Johnson und Co.?

Sie müssten nun Verantwortung übernehmen und die aufgewühlte, besorgte Bevölkerung beruhigen. Stattdessen darf davon ausgegangen werden, dass die konservativen Brexiteers damit beschäftigt sind, den nächsten Vorsitzenden der Tories auszumachen. Im Geheimen, da wird um die Macht geschachert. Und im Öffentlichen fragt sich ein zutiefst verunsichertes Land, wie es denn nun weitergeht.

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