Reaktionen auf Interview mit Donald Trump Washingtons Denkfabriken erkennen bewusste Provokation

Washington · Donald Trumps Aussagen erregen in den USA kaum Aufsehen. Das Land feierte lieber den schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King.

 Generalprobe: Vor dem Capitol in Washington ist alles vorbereitet für die Amtseinführung des neuen US-Präsidenten am 20. Januar.

Generalprobe: Vor dem Capitol in Washington ist alles vorbereitet für die Amtseinführung des neuen US-Präsidenten am 20. Januar.

Foto: AFP

In Amerika, wo man an alte Gewissheiten sprengende Bemerkungen Donald Trumps gewöhnt ist, wurde der Rundumschlag des künftigen Präsidenten gegen Nato, EU und Kanzlerin Angela Merkel gestern nur kursorisch registriert. Das Land feierte den schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King und bereitet sich ansonsten auf die Amtseinführung Trumps am Freitag vor. Lediglich die „Washington Post“ registrierte die Zeitenwende, die Trump in seinem Interview mit „Bild“ und „The Times“ (London) en passant vollzog: „Der neue Präsident ist der erste amerikanische Führer seit dem Zweiten Weltkrieg, der nicht die europäische Integration unterstützt.“

Trumps widersprüchliche Erklärung zum westlichen Verteidigungsbündnis – überflüssig, weil alt und nicht tüchtig genug im Kampf gegen den islamistischen Terror, aber doch „sehr wichtig“ – wurde verschieden interpretiert: Als Druckmittel, um die Forderung zu untermauern, dass die westlichen Mitgliedsländer schleunigst mehr in die zu 75 Prozent von Amerika bestrittene Gemeinschaftskasse einzuzahlen haben. Und als Wink mit dem Zaunpfahl, wer den Takt in der künftigen Regierung vorgibt.

Verteidigungsminister James Mattis, Ex-General und Nato-Fan, hatte bei seiner Anhörung im Senat erklärt, dass man die Nato erfinden müsse, wenn es sie nicht gäbe. Abgeschwächt, aber im Kern auch Nato-freundlich, hatte sich der designierte Außenminister Rex Tillerson geäußert.

In Washingtoner Denkfabriken wurden Trumps Anwürfe in Sachen EU/Brexit als „bewusst gesetzte Provokation gewertet, um zu sehen, wie die aufgeregten Europäer reagieren“. Dass Trump weiteren Austritten das Wort redet und die Union als Instrument rein deutscher Interessen charakterisiere, bestätige, dass er die EU als „ein auslaufendes Geschäftsmodell betrachtet“. Darum auch sein unüberhörbares Angebot an Großbritannien, so schnell wie möglich bilaterale Handelsabkommen zu vereinbaren. Dass der Brexit ansteckende Wirkung haben wird, wie Trump meint, wird in Washington nicht überall geteilt. Kongressabgeordnete, die häufig in Europa zu tun haben, sagten dieser Zeitung bereits vor Wochen: „Es kann sich auch der Effekt einer Solidarisierung einstellen.“

Dass Trump Moskaus Einschreiten in den syrischen Bürgerkrieg zum ersten Mal öffentlich als eine „ganz schlechte Sache“ bezeichnete, die zu einer „furchtbaren humanitären Situation“ geführt habe, werten Beobachter in der US-Hauptstadt als „billige Konzessionsentscheidung an die Realität“. Wichtiger sei, dass Trump Bereitschaft signalisiert hat, die nach den russischen Interventionen auf der Krim und in der Ukraine verhängten Sanktion aufzuheben, wenn Russland im Gegenzug sein Nuklearwaffenarsenal (rund 1800 Sprengköpfe) verkleinert. Russland-Experten bei „Brookings“ in Washington sehen diese „sachfremde Verknüpfung“ skeptisch. Das Sanktionsregime zu lockern, an dem die EU und die G7-Staaten beteiligt sind, würde Putins Vorgehen „nachträglich legitimieren“.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort