Kommentar zu Bann im Schulunterricht Warum Darwins Evolutionstheorie in Erdogans Türkei stört

Meinung | Bonn · Dass die Regierung in Ankara jetzt ankündigt, die Evolutionstheorie aus dem Schulunterricht zu verbannen, ist kein Zufall, sondern der nächste logische Schritt in einer beunruhigenden politischen Entwicklung.

Der Kampf gegen die wissenschaftliche Entstehungstheorie der Arten war zu immer auch ein politischer. Wie könnte das in der Türkei Erdogans anders sein?

Schon Charles Darwin wusste um die politische Dimension seiner Idee. „Es ist, als ob man einen Mord gesteht“, vertraute der größte Vordenker der modernen Evolutionslehre vor der Veröffentlichung seines Werkes „Entstehung der Arten“ (1859) einem Freund an. Er fürchtete sich vor öffentlicher Ächtung, nicht nur, weil seine Ideen die Kirche und ihre religiösen Mythen düpierte, sondern vor allem, weil sie die Unangreifbarkeit der britischen Adelsschicht (zu der auch Darwin selbst zählte) bedrohte.

Denn hinter Darwins Geistesblitz steckt (ungeachtet historischer Fehlinterpretation) ein brandgefährlicher und zugleich urdemokratischer Gedanke: Hat Gott nicht die Ordnung der Natur geschaffen, dann ist er auch nicht für die soziale Ordnung verantwortlich. Die Gesellschaft und ihre Stände sind somit verhandel- und angreifbar.

Man könnte noch weiter gehen: Die Evolutionstheorie richtig verstehen, heißt, nicht die Art, Rasse, Ethnie oder Nation, sondern jedes Individuum als in seiner Existenz einmalig zu begreifen. Eine Gesellschaft, die diesem Gedanken gerecht wird, kann nur eine pluralistische, ganz sicher aber kein Gottestaat sein.

Jeder Herrscher, Autokrat oder Diktator, der seinem Volk nicht vertraut, es vielleicht sogar fürchtet, ist gut beraten, Darwin zu verteufeln und die Nähe zur Autorität der Kirche zu suchen. Und hier entlarvt sich die türkische Regierung einmal mehr selbst. "Wir glauben, dass dieses Unterrichtsfach das Verständnis der Schüler übersteigt", lässt das Bildungsministerium verlauten. Vertrauen hört sich anders an.

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