Wahlkampf in den USA Vorentscheidung auf den Bildschirmen

Washington · An diesem Montag amerikanischer Zeit treffen die beiden Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und Hillary Clinton erstmals in einer Fernsehdebatte aufeinander. 100 Millionen Zuschauer werden zur Premiere erwartet. Ein Fünftel der Wähler ist noch unentschieden.

 Die deutsche Politik stellt sich langsam darauf ein, dass die Entscheidung über den 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten am 8. November zwischen Hillary Clinton und Trump fallen wird.

Die deutsche Politik stellt sich langsam darauf ein, dass die Entscheidung über den 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten am 8. November zwischen Hillary Clinton und Trump fallen wird.

Foto: Kay Nietfeld

Also dann: 26. September. 9. Oktober. 19. Oktober. Drei Tage im amerikanischen Herbst bringen die Vorentscheidung: Bekommen die USA zum ersten Mal eine Präsidentin? Oder zieht ein umstrittener Geschäftsmann ins Oval Office ein? Mit der ersten von drei Fernsehdebatten beginnt am Montag endgültig die heiße Phase des bizarrsten Wahlkampfes, den die Vereinigten Staaten von Amerika seit Ewigkeiten erlebt haben.

Hillary Clinton (68) versus Donald Trump (70). Hier die 1,68 Meter große frühere First Lady, Ex-Senatorin und ehemalige Außenministerin aus Chicago. Da der bullige Chauvi und Politikneuling aus Queens. Hier die durch Dutzende Debatten gestählte Fachpolitikerin mit riesigem Wissensfundus. Dort der durch seine Reality-TV-Show „The Apprentice“ mit der Manipulation des Publikums bestens vertraute Selbstdarsteller, der im Vorwahlkampf 16 Mitbewerber mit einer Melange aus Lügen, Beleidigungen und faktenfreien Versprechungen aus dem Feld geschlagen hat. Zwei Kandidaten, wie sie qua Intellekt, Programm und Erfahrung unterschiedlicher kaum sein könnten.

Noch in diesem Sommer hatte die Demokratin einen komfortablen Vorsprung in den Umfragen. Weniger durch eigene Stärke. Das Gros der Amerikaner mag sie nicht und traut ihr nach wie vor nicht nicht über den Weg. Sondern weil Trump mit Beleidigungen (Eltern eines muslimischen Armeeveteranen), Affronts (versteckte Gewaltaufrufe gegen Clinton) und Verschwörungstheorien (gewinnt er nicht, war die Wahl manipuliert) viele parteipolitisch unabhängige Amerikaner an seinem Verstand und der Befähigung für das Amt zweifeln ließ.

Einige Demokraten träumten nach Trumps Pannenserie sogar von einem „Erdrutschsieg“. Alles längst Geschichte. Heute liegt der Radikalpopulist nahezu gleichauf. Clintons Stern ist im Sinkflug.

Zu ihren Uraltlasten – die Nähe zur Hochfinanz der Wall Street, die umstrittene Wohltätigkeitsstiftung ihres Mannes, der Skandal um ihren törichten E-Mail-Habitus als Außenministerin, ihr mittelprächtige Leistungsbilanz als Chefdiplomatin unter Obama - kam die Geheimniskrämerei um ihren Schwächeanfall vor wenigen Wochen. Dazu drückten verbale Ausrutscher aufs dünne Sympathiekonto.

Clinton kanzelte die Kerngefolgschaft Trumps – ältere, weiße Wähler oberhalb der 50 – als „erbärmlichen Haufen“ ab. Als sie dann auch noch im Zuge der glimpflich geendeten Terroranschläge von New York und New Jersey allzu passiv reagierte, während Trump wieder den starken Max markierte (Stichwort: Gewissenstest für Muslime), blies Clinton der Wind vollends ins Gesicht. Wobei man immer betonen muss: Die Umfragenlage ist höchst volatil. Die Werte ändern sich alle zwei, drei Tage.

Fernsehkundige rechnen darum mit einer Rekordeinschaltquote von mehr als 100 Millionen Menschen, wenn der afroamerikanische Starmoderator des Senders NBC, Lester Holt, um 21 Uhr Ortszeit (3 Uhr am 27.9. in Deutschland), im großen Saal der Hofstra-Universität auf Long Island bei New York das 90-minütige Rededuell eröffnet. Viel steht für beide Kandidaten auf dem Spiel. Vielleicht alles.

Am 56. Jahrestag der ersten „presidential debate“ via Mattscheibe schaut ein großer Teil des Wahlvolks zum ersten Mal wirklich genauer auf die beiden Menschen, die am 8. November um das höchste Staatsamt kämpfen.

Dabei kommt es erfahrungsgemäß nicht so sehr darauf, w a s die Kandidaten sagen. Sondern wie sie sich präsentieren. Bei der Premiere am 26. September 1960 lieferte ein siech wirkender Richard Nixon gegen den fast jugendlich auftretenden John F. Kennedy einen denkwürdigen Auftritt ab, von dem er sich nie wieder erholte. Ein dicker Patzer, eine aufreizende Geste, ein Aussetzer heute Abend kann Clinton wie Trump einen großen Schub geben. Oder das genaue Gegenteil.

Beispiele aus der Vergangenheit

Beispiel dafür gibt es in der Vergangenheit zu genüge. George H. W. Bush ließ sich 1992 in der Debatte zu einem gelangweilten Blick auf seine Armbanduhr hinreißen. Es entstand das Bild des abgehobenen Politikers, der seinen Gegner und das Publikum nicht für voll nimmt. Bill Clinton gewann die Wahl. Im Jahr 2000 trat der jüngere Bush, George W., gegen den Demokraten Al Gore an. Gore konnte sich nicht verkneifen, die Anmerkungen seines Kontrahenten mit Seufzen und Augenrollen zu kommentieren. Bush gewann die Wahl.

Der Papierform nach ist Hillary Clinton im Vorteil. Sie hat ihr Temperament unter Kontrolle. Sie ist trittsicher auf allen Politikfeldern. Sie hat ein Wahlprogramm, das nicht schon nach der ersten Überprüfung in sich zusammenfällt. Was sie nicht hat, ist der rhetorische Furor, mit dem Amtsinhaber Barack Obama bis heute über inhaltliche Unschärfen hinwegparlieren kann.

Trump dagegen ist noch nie durch präsidiales Auftreten aufgefallen. Dafür mit Lügen. 60 Prozent seiner Aussagen im Wahlkampf sind nach Prüfung der Faktenchecker von „Politi-Fact“ unwahr. Aber er hat bewiesen, das man mit Breitseiten gegen Rivalen („Lügen-Ted“) und großspurigen Versprechen („Make America great again“) Emotionen wecken kann. Seine Anhänger, schreibt die New York Times, die sich gerade offiziell für Hillary Clinton ausgesprochen hat, lebten „in einer Welt, in der Fakten nicht mehr zählen“.

Hillary Clinton hat sich mit mehreren Trump-Doubles auf den großen Tag vorbereitet und Verhaltensforscher konsultiert, um die „wunden Punkte“ Trumps freizulegen. Ohne dabei auf das Niveau des Wirtshausschlägers zu sinken, das der 70-Jährige seit Monaten in Auseinandersetzungen mit Andersdenkenden pflegt. Trump hingegen ließ absichtsvoll verlauten, dass zu viel Präparierung nur schade und künstlich wirke. „Man ist nicht mehr man selbst“, ließ er seinen Lieblingsstichwortgeber Sean Hannity beim Sender Fox News wissen.

Die Bedeutung der TV-Debatten kann man laut Politikexperten wie Larry Sabato „nicht hoch genug einschätzen“. Ausgangspunkt: Ein Fünftel der Wahlberechtigten, sagt der Professor der Universität von Virginia, sei noch völlig unentschlossen. „Jede Schwäche heute Abend kann darum den Ausschlag geben.“

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