Kommentar zum Brexit-Chaos Verantwortungslos

Meinung | Bonn · Der Chef der größten britischen Oppositionspartei plant eine Revolte gegen Premierminister Boris Johnson. Doch Jeremy Corbyn ist umstritten. Stimmen konservativer Dissidenten wird er jedoch nicht gewinnen, kommentiert Raimund Neuß.

Wer das Chaos in der britischen Politik verstehen will, der sollte nicht nur auf die regierenden Tories schauen. Sondern auch auf die zerrissene Labour-Partei. Deren Chef Jeremy Corbyn verrät regelmäßig die hohe staatspolitische Verantwortung, die er als Führer von Ihrer Majestät loyaler Opposition trägt.

Wie lautete noch die aktuelle Herausforderung? Ja, es geht darum, den rücksichtslosen Brexit-Kurs von Premier Boris Johnson zu stoppen. Was soll dann die Ankündigung Corbyns, er plane ein Misstrauensvotum und wolle hernach selbst eine Übergangsregierung führen? Corbyn weiß genau, dass er schon bei kleineren Oppositionsparteien wie den Liberaldemokraten kaum Chancen hat. Stimmen konservativer Dissidenten wird er erst recht nicht gewinnen. Er ist mehrfach gewarnt worden, zuletzt diese Woche von seinem Vertreter Tom Watson, aber er will antreten. Einfach, um zu zeigen, wer der Herr im Hause Labour ist.

Merke: Zur Bildung einer Übergangsregierung benötigt man einen über alle Parteigrenzen hinaus vermittelbaren Kandidaten und keine so kontroverse Gestalt wie den Radikalsozialisten Corbyn. Und: Wer Tory-Rebellen für den Sturz Johnsons gewinnen will, der muss zuvor alle milderen, also legislativen Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Seit Wochen reden Konservative wie Philip Hammond mit Labour-Kollegen darüber. Und was macht Corbyn? Er schießt quer.

Gerissen, wie Johnson ist, könnte er am Ende sogar eine Vertrauensabstimmung gezielt verlieren, sodann zusehen, wie Corbyn an der Regierungsbildung scheitert, und schließlich Neuwahlen zu einem ihm genehmen Termin ansetzen – während der harte Brexit seinen Lauf nimmt. Im Ergebnis hätte Corbyn dann den Brexit-Turbo gezündet.

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