Politische Krise in Italien Stunden der Entscheidung am Tiber

Rom · Ministerpräsident Matteo Renzi setzt nach seiner Niederlage im Verfassungsreferendum offenbar auf Neuwahlen. Spitzenkandidat seiner Partei will er selbst werden.

 Vorfahrt vor dem Sitz des Präsidenten: Premier Matteo Renzi (links) .

Vorfahrt vor dem Sitz des Präsidenten: Premier Matteo Renzi (links) .

Foto: dpa

Der Largo del Nazareno in Rom ist einer dieser verwinkelten Plätze in der Altstadt von Rom, der Touristen das Herz aufgehen lässt. Am Mittwochnachmittag wird hier kein Durchkommen sein, denn bei bedeutenden Gelegenheiten wie dieser riegeln Sicherheitskräfte und Kamerateams das Altstadt-Idyll rigoros ab. Am Largo del Nazareno hat der Partito Democratico (PD) seinen Sitz, für 15 Uhr ist eine Sitzung des Parteipräsidiums angesetzt.

Die Republik und insbesondere Staatspräsident Sergio Mattarella warten gebannt auf die Entscheidungen, die in dieser barocken Nische zwischen Fontana di Trevi und Spanischer Treppe getroffen werden.

Der PD bleibt auch während der Regierungskrise mit rund 400 Parlamentariern die stärkste Partei im italienischen Parlament. Sämtliche politischen Rechen- und Machtspielchen kreisen also um die Sozialdemokraten und um ihren Chef Matteo Renzi.

Der Ministerpräsident hat nach der Niederlage beim Referendum über die Verfassungsreform seiner Regierung den Rücktritt angekündigt, will aber allem Anschein nach den Parteivorsitz nicht aufgeben. Auf Drängen von Staatspräsident Mattarella bleibt der 41-jährige Premier noch so lange im Amt, bis das wichtige Haushaltsgesetz verabschiedet ist. Geht alles glatt, könnte der Senat das Gesetz bereits am heutigen Mittwoch verabschieden. Anschließend würde Renzi definitiv seinen Rücktritt einreichen.

Der Staatspräsident, dem die Rolle des Koordinators dieser schwierigen politischen Phase zukommt, könnte dann mit Beratungsgesprächen beginnen. Mattarellas Priorität ist die Ernennung eines neuen Premierministers, der aber die Stimmen der stärksten politischen Kraft im Parlament benötigt. Noch-Ministerpräsident Renzi hat offensichtlich andere Pläne.

Aus seinem Umfeld verlautet, der Parteichef werde sich auf der Präsidiumssitzung für baldige Neuwahlen einsetzen. Gibt ihm die Partei grünes Licht, könnte Staatspräsident Mattarella nach Beratungen oder einer kurz amtierenden Übergangsregierung zur Auflösung der Parlamentskammern gezwungen sein. Die meisten im Parlament vertretenen Parteien setzen sich für Neuwahlen ein. Renzis Entschluss, der am Mittwoch noch auf seine offizielle Bestätigung wartete, war offenbar bereits am Tag nach der Abstimmungsniederlage gereift. 59,1 Prozent der Wähler hatten sich am Sonntag gegen die Verfassungsreform ausgesprochen, 40,9 Prozent dafür.

„Lasst uns mit diesen 40 Prozent neu anfangen“, twitterte am Montag Staatssekretär Luca Lotti, der als alter Ego des Ministerpräsidenten gilt. Könnte Renzi bei Neuwahlen ein ähnliches Ergebnis erzielen, wäre ihm der Wahlsieg sicher. Innenminister Angelino Alfano, dessen Splitterpartei Nuovo Centrodestra (NCD) mit dem PD koaliert und der den Premierminister am Montag zu einem Gespräch traf, bestätigte diesen Plan.

Gelingt diese Strategie, könnte sich Renzi des Urmakels seiner Regierung entledigen. Der 41-Jährige war im Februar 2014 vom Staatspräsidenten ernannt, aber nie durch eine Parlamentswahl legitimiert worden. Ob es aber tatsächlich soweit kommt, ist noch völlig unklar. Zunächst müsste Staatspräsident Mattarella mit allen Versuchen der Bildung einer neuen Regierung gescheitert oder Renzi sich der Loyalität eines Nachfolgers sicher sein.

Ob dies der Fall sein wird, hängt von den Kräfteverhältnissen im Partito Democratico ab. Renzis innerparteiliche Gegner, der linke Flügel des PD unter der Führung von Ex-Parteichef Pierluigi Bersani und Ex-Premier Massimo D'Alema, fühlt sich nach der Referendumsniederlage gestärkt und fordert die Änderung des politischen Kurses.

Völlig unklar ist auch, mit welchem Wahlrecht vorgezogene Neuwahlen abgehalten werden könnten. Nach der gescheiterten Verfassungsreform gelten in Abgeordnetenhaus und Senat zwei unterschiedliche Wahlgesetze. Für Ende Januar wird zudem eine Entscheidung des Verfassungsgerichts über eine Klage gegen das im Abgeordnetenhaus geltende Wahlgesetz erwartet. Jüngsten Umfragen zufolge lagen Renzis PD und die EU-skeptische 5-Sterne-Bewegung um Komiker Beppe Grillo etwa gleichauf.

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