Argentinien Rolle Bergoglios während der Diktatur umstritten

PUEBLA · Man schrieb das Jahr 1968, die Welt war in Aufruhr: In Europa ging die Jugend auf die Barrikaden, in Lateinamerika erhoben sich linke Befreiungsbewegungen gegen Ungerechtigkeit und Diktatur. Und im kolumbianischen Medellin tagten die lateinamerikanischen Bischöfe.

 12. Dezember 2008: Handschlag zwischen Argentiniens Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner und Jorge Mario Bergoglio, Erzbischof von Buenos Aires

12. Dezember 2008: Handschlag zwischen Argentiniens Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner und Jorge Mario Bergoglio, Erzbischof von Buenos Aires

Foto: AP

Am Ende stand eine Erklärung, in der sich die Bischöfe klar auf die Seite der Unterdrückten stellten. Die "Option für die Armen" war eine kleine Revolution, der 1971 der peruanische Theologe Gustavo Gutiérrez einen Namen gab: Theologie der Befreiung.

Nicht alle Kirchenleute hießen diese Entwicklung gut. Im Inneren der Kirche bildete sich bald eine Gegenbewegung konservativer Orden und Bischöfe, gefördert vom US-Geheimdienst, der hinter den Befreiungsbewegungen und ihren Sympathisanten kommunistische Machenschaften des Erzfeindes Sowjetunion vermutete. So geriet die Theologie zwischen die Fronten des Kalten Krieges. Es gab nur Freund oder Feind. Die USA unterstützten rechte Militärdiktatoren, die Sowjetunion den kubanischen Revolutionsführer Fidel Castro und linke Befreiungsbewegungen in Lateinamerika. In Chile siegte der Sozialist Salvador Allende, in Guatemala wurde der progressive Jacobo Arbenz Präsident, in El Salvador und Nicaragua erhoben sich Befreiungsbewegungen. In Kolumbien hatte der Bürgerkrieg schon in den 60er Jahren begonnen.

[kein Linktext vorhanden]Doch dann wendete sich das Blatt; mit Hilfe des US-Geheimdienst CIA wurde Salvador Allende 1973 von Augusto Pinochet gestürzt. Und in der Kirche übernahm 1978 ein charismatischer Pole und überzeugter Antikommunist die Zügel: Johannes Paul II. Was dies für die Befreiungstheologen bedeutete, wurde bei seinem Besuch in Nicaragua 1983 klar: Als der Befreiungstheologe und Minister Ernesto Cardenal niederkniete, um den Ring des Papstes zu küssen, entzog dieser ihm seine Hand und kritisierte ihn vor laufenden Kameras.

In Argentinien putschte sich 1976 eine Militärjunta an die Macht. Jorge Mario Bergoglio war da noch keine 40 und seit drei Jahren Vorsteher des Jesuitenordens. Die Kirchenhierarchie stellte sich hinter das Regime, und es begann, was Bergoglio später seinem Biografen gegenüber eine "Paranoia und Hexenjagd" nannte: 30 000 Tote und Verschwundene, darunter zwei Bischöfe und viele Priester und Ordensleute. Während in Chile und Brasilien mutige Bischöfe Hunderte von Regimegegnern in Schutz nahmen oder heimlich außer Landes brachten, erklärte der argentinische Klerus 1976, man könne von den Sicherheitskräften keine "chemische Reinheit" verlangen oder außer Acht lassen, dass das Gemeinwohl gewisse Opfer fordere. "Argentiniens Kirche war damals zutiefst gespalten, und die meisten Bischöfe machten die radikalen Befreiungstheologen für die Polarisierung verantwortlich", schrieb der Kirchenhistoriker Martín Obregón. "Und die Militärs wussten sich der Religion zu bedienen. Sie und die Bischöfe teilten eine ähnliche Auffassung der nationalen Identität, die durch eine von außen hereingetragene Subversion gefährdet war."

Welche Rolle der heutige Papst während der Militärdiktatur spielte, ist umstritten. "Das große Schweigen" heißt das Buch des linken Enthüllungsjournalisten Horacio Verbitsky über die Rolle der Kirche in dieser Zeit. Verbitsky wirft Bergoglio vor, zwei in Armenvierteln engagierte Priester aus dem Jesuitenorden verstoßen und der Militärdiktatur preisgegeben zu haben. Sie wurden gefoltert, kamen später aber wieder frei.

Einer der beiden, Franz Jalics, lebt inzwischen in Oberfranken. Die Dokumente, die Bergoglios Mitschuld von damals bewiesen, habe er verbrannt, erklärte er, erst dann habe er seinen Groll vergessen und ihm vergeben können. Bergoglio, der als Zeuge in einem Diktaturprozess vor Gericht geladen wurde, bestritt die Vorwürfe. Er habe sich mehrfach mit Mitgliedern der Militärjunta getroffen, um für Jalics und andere politische Gefangene Fürsprache einzulegen; einmal habe er sogar seine Papiere zur Verfügung gestellt, um einem verfolgten Regimegegner die Flucht zu ermöglichen, erzählte er seinem Biografen.

Argentiniens Amtskirche brauchte lange, um das finstere Kapitel zu verdauen. Sie bestritt jegliche institutionelle Verantwortung. Erst 2000 bat sie um Verzeihung, erklärte, die Wunden der Vergangenheit müssten sich schließen, um in die Zukunft zu blicken.

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