Willkür Razzia gegen Akademiker im Hungerstreik in Ankara

Nachts dringen Polizisten in Wohnungen in Ankara ein und nehmen zwei sich im Hungerstreik befindende Akademiker fest. Amnesty International prangert Menschenrechtsverletzungen an.

Zwei Akademiker im Hungerstreik sind in der türkischen Hauptstadt Ankara bei einer Razzia festgenommen worden. Die Polizei sei in der Nacht zum Montag in ihre Wohnungen eingedrungen, teilten die Dozentin Nuriye Gülmen und der Grundschullehrer Semih Özakca via Twitter mit.

Die Zeitung "Cumhuriyet" meldete unter Berufung auf den Anwalt Selcuk Kozagacli, Grund für die Festnahme sei, dass "die Aktion zu einem Todesfasten werden könnte" und Anlass für Demonstrationen ähnlich der regierunskritischen Gezi-Proteste im Jahr 2013 geben könnte.

Gülmen und Özakca befinden sich aus Protest gegen ihre Entlassungen seit 9. März im Hungerstreik. Sie nehmen nur Wasser, Zucker, Salz und Vitamin B zu sich. Ihr Gesundheitszustand ist seit Tagen kritisch. Kozagacli sagte, Gülmen und Özakca hätten angekündigt, ein Todesfasten zu beginnen - also auch auf Wasser und Zucker zu verzichten - sollten sie nicht bald freigelassen werden.

Die beiden Akademiker sind zwei von Tausenden, die nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 per Notstandsdekret entlassen wurden. Ihnen werden angebliche Verbindungen zur Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen vorgeworfen, den die türkische Führung für den Putschversuch verantwortlich macht.

Die Massenentlassungen von Staatsbediensteten per Notstandsdekret in der Türkei verstoßen nach Einschätzung von Amnesty International gegen Menschenrechte. In einem neuen Bericht kritisierte die Organisation, die Entlassungen seien "willkürlich".

Die Maßnahmen verletzten unter anderem das Menschenrecht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren und missachteten das Diskriminierungsverbot von Zehntausenden Menschen. Darunter seien Militärs, Polizisten, Richter, Lehrer, Akademiker und Ärzte.

Die Behörden hätten in keinem der von Amnesty untersuchten 33 Fälle individuelle Begründungen für die Kündigungen geliefert, hieß es. Das erhärte den Verdacht, "dass zahlreiche Entlassungen willkürlich, ungerecht und/oder politisch motiviert" gewesen seien. Für die weit mehr als 100 000 entlassenen Staatsbediensteten werde es immer schwieriger, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Vom Staatsdienst ausgeschlossen, kämpften sie und ihre Familien zusätzlich mit dem Stigma der Terrorismus-Anklage. Da die Reisepässe der Betroffenen in vielen Fällen für ungültig erklärt worden seien, könnten sie auch das Land nicht verlassen. Die türkischen Behörden beschuldigen die Betroffenen, Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen zu sein. Ankara macht den in den USA lebenden Prediger für den Putschversuch im vergangenen Sommer verantwortlich.

Es sei unmöglich, die Entlassungen vor Gericht anzufechten, bemängelte Amnesty. Eine im Januar 2017 von der türkischen Regierung eingesetzte Kommission sei nicht ausreichend, die weit über 100 000 Fälle zu bearbeiten und den Betroffenen damit Klarheit zu verschaffen. Die Kommission, deren Unabhängigkeit Amnesty zudem anzweifelte, habe ihre Arbeit noch immer nicht aufgenommen. Seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 hätten nur 1300 Menschen ihre Positionen im Staatsdienst zurückerhalten.

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