Kommentar zum Streit zwischen den USA und der Türkei Pulverfass

Meinung | WASHINGTON · Der Streit zwischen den USA und der Türkei bringt auch Europa in eine komplizierte Lage. Die Mitgliedsstaaten sollten trotz aller bestehender Probleme aber ein Interesse an einer stabilen Türkei haben, meint GA-Autorin Eva Quadbeck.

 Kündigte einen Boykott elektronischer Geräte aus den USA an: Recep Tayyip Erdogan.

Kündigte einen Boykott elektronischer Geräte aus den USA an: Recep Tayyip Erdogan.

Foto: dpa

Der Streit zwischen den USA und der Türkei geht um viel mehr als Wirtschaftssanktionen und eine bedrohte Währung, was schon dramatisch genug ist. In der Auseinandersetzung der ungleichen Partner zeigt sich auch die fragile globale Lage. Die Türkei ist ein Pulverfass.

Die Nato verfügt über keinen Mechanismus, um einen solchen Streit unter Partnern zu befrieden. Die gemeinsamen Werte und Interessen in dem Verteidigungsbündnis erweisen sich in dieser Krisensituation als Illusion. Es bleibt zu hoffen, dass der eigentliche Zweck der Nato – das gegenseitige Sicherheitsversprechen – nicht gerade in dieser Lage auf die Probe gestellt wird.

Europa ist ohnehin ratlos im Umgang mit der Türkei. Dass das Verhältnis so schlecht ist und die Beitrittsverhandlungen als gescheitert betrachtet werden dürfen, daran ist nicht allein die Türkei Schuld. Über Jahre haben die Europäer die Türkei in der Beitrittsfrage hingehalten. Die Verhandlungen waren nie wirklich auf einen Beitritt ausgelegt. Sie haben mehr Partnerschaft vorgegaukelt, als je vorhanden war. Wenn man ehrlich ist, dann sind es nur die Handelsbeziehungen und das Flüchtlingsabkommen, die EU und Türkei verbinden.

Für Europa und für die Nato ist die Neuausrichtung der Türkei voller Unwägbarkeiten. Innenpolitisch entwickelt sie sich zu einem autoritären Regime, was sie von Europa weiter wegtreibt. Außenpolitisch locken Russland als strategischer Partner und der asiatische Raum als Handelspartner.

Hitzköpfige Präsidenten an der Macht

Die Türkei ist für die Nato schon länger ein schwieriger Partner. Insbesondere im Syrien-Krieg gibt es gefährliche Interessenkonflikte: Während die USA mit Hilfe der Kurden den IS in Syrien zurückdrängen, geht die Türkei ihrerseits gegen die Kurden vor, denen sie keine Landgewinne zugestehen will. Der Konflikt der Nato-Länder im Norden Syriens ist brandgefährlich. In beiden Staaten haben hitzköpfige Präsidenten die Oberbefehlsgewalt über das Militär.

Derweil finden sich die Europäer – wie so oft – in der Rolle der hilflosen Zuschauer wieder. Für Europa aber bleibt die Türkei als Partner zentral. Für Deutschland ist das Land am Bosporus kein bedeutender Handelspartner. Großbanken in Spanien, Italien und Frankreich können indes in Not geraten, wenn das türkische Finanzsystem zusammenbrechen sollte. Auch die Rolle der Türkei in Europa als Nato-Partner kann nicht überschätzt werden. Geht die Türkei als Verbündeter verloren, rücken die Konflikte im Nahen Osten direkt an Europas Grenzen heran. Und der russische Präsident Putin wäre seinem Ziel ein Stück näher, die westlichen Allianzen auseinanderzutreiben.

Nicht nur Europa, auch die Nato muss ein großes Interesse an einer stabilen Türkei haben. Soweit aber reicht der Blick des amerikanischen Präsidenten nicht. Dem Problem Türkei müssen sich die Europäer ohne amerikanische Verbündete stellen.

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