Boris Johnson in Berlin Mit „Stürm and Dräng“

BERLIN · Ein launiger Boris Johnson war am Freitag auf Antrittsbesuch bei Frank-Walter Steinmeier in Berlin. Der Brexit stand dabei im Vordergrund.

 Boris Johnson und Frank-Walter Steinmeier.

Boris Johnson und Frank-Walter Steinmeier.

Foto: dpa

Dieser Mann ist eine Geduldsprobe. Die Frisur so unfertig wie die Lage nach dem Brexit-Votum, nimmt Boris Johnson erst einmal Anleihe an einem großen, an einem historischen Satz: „Ich bin nicht ein Berliner“, sagt der britische Außenminister frech und auf Deutsch, wo er doch wahrlich größere Sorgen haben müsste, als über seine Herkunft nachzudenken. Dafür aber sei seine Frau „eine Berlinerin, denn sie ist hier geboren“. Bei seinem Gastgeber Frank-Walter Steinmeier dürfte Johnson, der Ober-Brexitier, damit nur bedingt Punkte sammeln.

Denn Steinmeier macht auch in dieser Stunde beim offiziellen Antrittsbesuch seines britischen Amtskollegen in Berlin, nachdem sich beide Herren zuvor bereits bei diversen Ministerräten kennengelernt hatten, deutlich, dass er sich wahrlich eine andere Entscheidung des britischen Volkes als den Wunsch nach Austritt aus der Europäischen Union gewünscht hätte. Aber jetzt sei es nun einmal so. Und der Gast aus London, der beim morgendlichen Joggen in quietschbunten Shorts und einer Mütze mit dem Union Jack auf der Stirn gern die Sorgen des Alltags vergisst, soll wissen: Es werde auf dem Weg zum Brexit keine Vorverhandlungen geben, und die Lage bis zum Antrag auf Austritt dürfe auch keine Hängepartie werden, „denn dies schadet am Ende beiden“.

Auch wenn Steinmeier, und damit ist er bei der Geduldsprobe, gelernt hat: „Geduld gehört gelegentlich auch zur Außenpolitik.“ Wenn die Dinge nur schneckenartig vorankommen, wenn beispielsweise das Atomabkommen mit dem Iran einfach nicht fertig werden will (und nach Jahren dann doch erreicht worden ist) oder ein Waffenstillstand in Syrien nur kurz Wirklichkeit wird, braucht ein Außenminister eines: Geduld und einen langen Atem. Immer und immer wieder argumentieren für Vernunft und Kompromissbereitschaft auf allen Seiten. Für die gute Sache

Johnson ist ein launiger, gut aufgelegter Gast, der nach außen so wirkt, als würde er die Probleme dieser Welt mit „Fränk-Wolter“, wie er Steinmeier nennt, auch an der Theke eines Pubs lösen. Keine Frage, er wisse schon, dass Steinmeier in der Brexit-Frage anderer Meinung sei als er. Aber eines müsse die Öffentlichkeit auch wissen: „Großbritannien verlässt vielleicht die Europäische Union, aber wir verlassen nicht Europa.“ Mit diesen beiden Sätzen versuchte Johnson bereits beim Treffen der OSZE-Außenminister Anfang September in Potsdam zu deeskalieren. Es wird in diesem Moment nicht ganz deutlich, ob Johnson die Vokabel „vielleicht“ bewusst wählt oder ob sie einfach nur ein Füllwort ist. Aber nach der jüngsten Entscheidung des britischen High Court, wonach die britische Regierung für einen EU-Austritt auch das Parlament beteiligen muss, hat ein „Vielleicht“ wieder Bedeutung. Johnson bittet aber darum, man möge doch bitte in das Urteil des hohen Gerichts „nicht zu viel hineinlesen“. Dies sei schließlich nur „ein Schritt in einem rechtlichen Prozess“. Er bleibt zuversichtlich, dass sich das Verhältnis mit den wegen des Brexits teilweise recht verstimmten Europäern – darunter die Deutschen – schon einrenken werde. Es mag sich wie ein Widerspruch anhören: „Aber wir werden auf gewisse Weise durch diesen Prozess auch europäischer.“

Dieser Prozess, womit der Ausstieg Großbritanniens aus der EU gemeint ist, müsste dafür aber erst einmal beginnen. Steinmeier hatte schon am Tag vor Johnsons Antrittsbesuch in Berlin deutlich gemacht, dass die Bundesregierung Anfang kommenden Jahres mit dem offiziellen britischen Austrittsgesuch rechnet. „Stürm and Dräng“, versucht sich Johnson zwischenzeitlich wieder in Deutsch, und deutet damit an: Man muss es bitte aber auch nicht ganz so eilig haben. Steinmeier mahnt noch einmal: keine Hängepartei beim britischen EU-Austritt. Die angesetzten zwei Jahre für Verhandlungen klingen vielleicht nach viel Zeit, seien aber bei einer derart komplexen Materie schnell vorüber. Und auch diesen Zahn zieht der deutsche Außenminister seinem Amtskollegen von der Themse: Die Briten müssten nicht glauben, dass sie sich beispielsweise mit der weiteren Zugehörigkeit zum europäischen Binnenmarkt die Rosinen herauspicken, aber „die weniger attraktiven Teile einfach ablehnen“ könnten. Steinmeier betont aber auch Gemeinsamkeiten mit Großbritannien. Die Regierung in London sei ein „enger Partner“, wenn es darum gehe, Krisen und Kriege wie in Syrien oder in der Ukraine zu befrieden.

Johnson ist dann wieder ganz der nette Nachbar von der Insel: „Er hat wirklich Geduld mit uns“, womit er selbstredend „Fränk-Wolter“ meint.

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